Ringvorlesung Wintersemester 2024/25: CHANCENGERECHTIGKEIT im Fokus

„Schwierige Fragen, spannende Antworten" (Professorin Natalie Stors, 2024) - so lässt sich die diesjährige Ringvorlesung der Hochschule Harz, die Teil des Professorinnenprogramms III ist, treffend zusammenfassen. Unter dem Motto „CHANCENGERECHTIGKEIT – Interdisziplinäre Herausforderungen und Lösungen“ bot die Veranstaltungsreihe im Wintersemester 2024/25 einen fesselnden Einblick in aktuelle Gleichstellungsthemen.

„Aktuelle Herausforderungen in der Gleichstellungspolitik" - unter diesem brisanten Titel eröffneten Sarah Schulze (Landesbeauftragte für Frauen- und Gleichstellungspolitik) und Sarah Piper (Zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Co.-Leitung im Sprachenzentrum an der Hochschule Harz) die Ringvorlesung. Ihre Botschaft: Wir sind von einer diskriminierungsfreien Gesellschaft noch weit entfernt. Aktuell sieht sich die Gleichstellungspolitik erbitterten Widerständen gegenüber, die mit einem gesellschaftlichen Rollback einhergehen. Doch warum brauchen wir überhaupt noch Gleichstellungspolitik? Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? Und wie können wir intersektionale Ansätze nutzen, um diese Aufgaben zu meistern? Besonders spannend: Beide betonten die globale Dimension des Themas. In einer vernetzten Welt ist Gleichstellung nicht nur eine nationale Aufgabe - sie erfordert interkulturelles Verständnis und internationale Zusammenarbeit.

(v.l.n.r: Lisa Pippirs, Sarah Schulze, Sarah Piper)

„Es ist Zeit, dass sich was dreht“ - textete Herbert Grönemeyer bereits vor fast 20 Jahren. Mit diesem Zitat brachten Professor Oliver Junk (Fachbereich Verwaltungswissenschaften) und Professorin Angela Kolb-Jassen (Fachbereich Verwaltungswissenschaften) die Situation von Frauen in der Kommunalpolitik auf den Punkt. Sachsen-Anhalt ist Schlusslicht in Deutschland, was den Anteil von Frauen in kommunalen Vertretungen angeht, berichtete Junk. Mit spannenden Erfahrungsberichten und Anekdoten aus ihrer Amtszeit sprachen Bürgermeisterin Steffi Syska und die ehemalige Bürgermeisterin Britta Schweigel unter dem Motto „Frauen führen Kommunen“ zu den zahlreichen Studierenden im Hörsaal. Ein Zitat der beiden blieb besonders im Gedächtnis „Je größer die Stadt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau das Amt innehat.“ Diese Aussage deckt sich mit den Ergebnissen aktueller Studien, denn deutschlandweit sind nur knapp 13 % der Posten eines Bürgermeister*innenamtes mit Frauen besetzt.¹ Die lebhafte Diskussion im Anschluss zeigte, dass das Thema die Studierenden bewegt. Professorin Kolb-Janssen berichtet begeistert: „Das Interesse, sich tiefer mit 'Frauen und Kommunalpolitik' zu befassen oder sogar selbst aktiv zu werden, war deutlich spürbar. Eine Studentin plant bereits, in ihrer Bachelorarbeit weiter zu diesem Thema zu forschen.“

(v.l.n.r: Britta Schweigel, Steffi Syska, Professor Oliver Junk, Lisa Pippirs, Professorin Angela Kolb-Janssen)

„Menschen müssen Tourismus lernen und wer ist eigentlich Emma?“ - hieß es in der dritten Ringvorlesung von Professorin Natalie Stors (Fachbereich Wirtschaftswissenschaften). In einem fesselnden Vortrag beleuchtete sie stereotype Rollenbilder im Tourismus aus sozialkonstruktivistischer Perspektive und regte das Publikum zu kritischem Hinterfragen an. Eine von Frau Stors Thesen: Sehenswürdigkeiten werden von Menschen gemacht. „Man muss das Wissen über einen Ort erfahren und es muss einen ansprechen“, erklärte die Professorin. Rollenbilder und Stereotype nehmen einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung und Gestaltung touristischer Angebote. Besonders spannend wurde es bei der Diskussion über „Emma“, die neue KI-Influencerin der Deutschen Zentrale für Tourismus. Das einstimmige Urteil der Anwesenden: Emma sei wenig repräsentativ für die Bevölkerung und biete kaum Identifikationspotenzial. Die lebhafte Debatte zeigte deutlich: Es ist umso wichtiger, Tourismus für alle zugänglich zu gestalten.

(Professorin Natalie Stors)

„Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist jede ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund von „Rasse“, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung“ lautet die Definition der Antidiskriminierungsstelle zum Begriff „Diskriminierung“².Mit diesen Worten eröffnete Professor Fabian Transchel (Fachbereich Automatisierung und Informatik) die vierte Ringvorlesung. In der Veranstaltung widmete sich Transchel dem komplexen Thema der Herausforderungen diskriminierungsfreier Versicherungen. Dabei wurden auch wichtige rechtliche Rahmenbedingungen wie das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), welches Regeln für die Versicherungsbranche festlegt, erklärt. Er ging auch auf das Konzept des „Disparate Impact“ ein, das sich auf indirekte Diskriminierung bezieht, bei der scheinbar neutrale Praktiken bestimmte Gruppen unverhältnismäßig benachteiligen. Ein besonders interessanter Aspekt der Vorlesung war die Diskussion des Simpson-Paradoxons. Dieses statistische Phänomen zeigt, wie Daten in Untergruppen aufgeteilt zu anderen Schlussfolgerungen führen können als bei Betrachtung der Gesamtgruppe. Im Kontext von Versicherungen kann dies zu unbeabsichtigten Diskriminierungen führen.

(Professor Fabian Transchel)

„F wie Kraft: Frauen bleiben anders“ - dieser Titel fasst treffend die Erkenntnisse der letzten Ringvorlesung mit Doktorin Julia Gabler (Vertretungsprofessorin der Hochschule Zittau/Görlitz) zusammen, die sich mit der geschlechtsspezifischen Abwanderung von Frauen aus ländlichen Regionen befasste. Die Abwanderung junger Frauen aus ostdeutschen Regionen ist ein anhaltendes Phänomen, das weitreichende Folgen hat. Es führt nicht nur zu einem demografischen Ungleichgewicht, sondern beeinträchtigt auch das Gemeinschaftsleben, die Finanzkraft und die Infrastruktur der betroffenen Gebiete. Doktorin Gabler identifizierte mehrere Faktoren, die Frauen zum Bleiben bewegen können: eine intakte Kulturszene, attraktive Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, gute Mobilitätsoptionen und die Möglichkeit, Sorgearbeit, Beruf sowie soziale Beziehungen zu vereinbaren.

Professor Jens Weiß (Fachbereich Verwaltungswissenschaften) resümierte zum Schluss der Vorlesung: „Der Vortrag von Julia Gabler zeigte am Beispiel der Situation in der Lausitz die Probleme genderspezifischer Abwanderung auf. Überproportionale Abwanderung von Frauen ist ein Thema, das Politik und Verwaltung auf Landesebene und in den Kommunen verstehen müssen, um gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die verschiedenen Faktoren, die jeweils über den Verbleib in einer Region, Abwanderung oder auch Rückkehr entscheiden, sind weitgehend bekannt, aber nur mittel- bis langfristig beeinflussbar.“

(v.l.n.r: Professor Jürgen Stember, Doktorin Julia Gabler, Lisa Pippirs, Professor Jens Weiß, Doktorin Mandy Ebers, Professor Robert Nadler)

Die Ringvorlesung an der Hochschule Harz hat bei den 173 Teilnehmenden einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und eine klare Botschaft vermittelt: Nur gemeinsam können wir einen Wandel zu mehr Chancengerechtigkeit bewirken!

 

14.05.2025
Autorin: Lisa Pippirs
Fotograf/Fotografin: Tim Bruns und Lisa Pippirs
Bildrechte: © Hochschule Harz

Lisa Pippirs

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