Wie digital sollte die moderne Lehre sein?

Forschungsprojekt „DigiLehR“ arbeitet Studieninhalte für VR-Übungsszenarien auf

Die Welt wird immer digitaler. Auch im Bildungswesen. Dicke Fachbücher werden durch E-Books und Google-Anfragen ersetzt, Notizen werden vorrangig via Tablet statt mit Stift und Block festhalten und der Wissenszuwachs wird nicht nur in Lerngruppen, sondern auch mittels Quiz-Apps und Lernplattformen überprüft. Genau an diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt DigiLehR der Hochschule Harz an. Im Rahmen des durch die Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ von August 2021 bis August 2024 geförderten Vorhabens werden Lerninhalte und Übungsszenarien für Studierende spielerisch auf den virtuellen Raum übertragen.

„Wir holen die Zielgruppe da ab, wo sie steht“, sagt Prof. Martin Kreyßig, der an der Hochschule Harz in den Studiengängen Medieninformatik sowie Medien- und Spielekonzeption lehrt. Im Projekt wird an digitalen Visualisierungen realer Anwendungsbeispiele gearbeitet, die Lernstoff aus den Bereichen Automatisierung, Vergaberecht und Mediengestaltung mittels VR-Technologie erfahrbar machen. Studierende können auf diese Weise ihr theoretisches Wissen testen und es wiederholend praktisch anwenden. „Die zentrale Frage in unserem Projekt ist: Können wir die Lehre digitalisieren? Wir haben punktuell Zweifel daran, sehen aber auch einige Möglichkeiten“, ordnet Martin Kreyßig den Forschungsansatz ein.

Studierende werden zu virtuellen Regisseuren und Kameraleuten

Der selbstständige Autor, Regisseur und Kameramann ist gemeinsam mit Prof. Daniel Ackermann für den Anwendungsfall Mediengestaltung zuständig. Dabei werden zwei Szenarien entwickelt – eine Interviewsituation und eine Spielfilmsequenz. Mit VR-Brille und Controller tauchen die Studierenden in die nach Drehbuch erstellten Szenen ein mit der Aufgabe, diese mit der virtuellen Kamera aufzuzeichnen. Dabei können Kamera und Mikrofon frei im Raum positioniert und Einstellungen u.a. an Blende, Belichtungszeit und Lautstärke vorgenommen werden. Anschließend wird das aufgezeichnete Bild- und Tonmaterial im Schnitt zu einem Film zusammengesetzt.

„Im physischen Raum, also in der Realität, haben die Studierenden die notwendigen Kenntnisse bereits von mir gelernt und praktisch angewendet. Wir wollen im Projekt rausfinden, ob sie die Fähigkeiten auch in den virtuellen Raum übertragen können“, erklärt Martin Kreyßig. Die Frage sei demnach, ob es hinsichtlich der eingesetzten personellen, zeitlichen und monetären Ressourcen sinnvoll ist, virtuelle Übungseinheiten zu gestalten.

Entscheidungsfähigkeit wird in geschützter Umgebung getestet

Der zweite Use Case liegt in Verantwortung von Prof. Dr. Christian-David Wagner und richtet sich an Studierende aus dem Fachbereich Verwaltungswissenschaften. „Diese finden sich nach Start des Programms in einem Besprechungszimmer wieder, um mit Vertretern einer Stadtverwaltung über die Anschaffung einer Spracherkennungssoftware zu diskutieren“, verbildlicht er das Szenario. Dabei werden während einer geskripteten Besprechung an ausschlaggebenden Punkten des Gesprächs Fragen aufgeworfen. „Die Studierenden sollen beispielsweise mithilfe ihres bisher im Rahmen des Studiums erlangten Wissens den Auftragswert schätzen, bei der Wahl der Verfahrensart mitentscheiden und geeignete Zuschlagskriterien bestimmen.“ Auf diese Weise werde der theoretische Lernstoff so praxis- und realitätsnah wie möglich angewendet.

Virtuell ausprobieren, was in der Realität mitunter Konsequenzen nach sich ziehen könnte, können Studierende auch im Anwendungsfall „Automatisierung“. Im konkreten Szenario gilt es, eine Abfüllanlage in Betrieb zu nehmen und zu bedienen. „Damit Studierende mit der Anlage arbeiten können, müssen sie diese mit ihren typischen Eigenheiten kennen, um sowohl eigene Verletzungen als auch Schäden an der Anlage zu vermeiden. Bei komplexeren Anlagen reicht aber eine einmalige Vorführung meist nicht aus“, verdeutlicht Gesamtprojektleiter Prof. Dr.-Ing. Simon Adler, der als Lehrender am Fachbereich Automatisierung und Informatik zudem für diesen Use Case zuständig ist. „Am virtuellen Modell können die Studierenden den richtigen Umgang mit der Anlage erlernen und üben. Der digitale Zwilling ermöglicht ihnen so eine wesentlich bessere Vorbereitung bei der Arbeit mit der echten Anlage.“

VR-Umgebung wird von Studierenden mitgestaltet

Als Vorbild der in den Anwendungsfällen agierenden Figuren, sogenannter Avatare, dienen reale Schauspieler, deren Lippen- und Körperbewegungen vorab aufgezeichnet wurden. Die Übertragung als 3D-Animation sowie die virtuelle Ausgestaltung der digitalen Räume übernehmen wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dabei wiederum von Studierenden unterstützt werden. „Das ist natürlich ein wunderbarer Zusatz-Effekt dieses Projekts. Die angehenden Medieninformatiker lernen genau das, was sie im späteren Berufsfeld tagtäglich machen werden – sie produzieren für die virtuelle Welt“, betont Prof. Daniel Ackermann, Koordinator des Masterstudiengangs Medien- und Spielekonzeption.

Wie zukunftsfähig dagegen die Einbindung der erstellten Szenarien in die Lehre ist, steht erst am Ende des Projekts nach umfangreicher Auswertung fest. Verantwortlich hierfür ist Prof. Dr. Jens Weiß. „Im Anwendungsfall Mediengestaltung sind bereits Mitte Juni erste Vor-Tests erfolgt, im kommenden Wintersemester starten dann alle drei Use Cases in die Testphase“, gibt er einen Ausblick. Parallel werde zudem daran gearbeitet, die Anwendung auch außerhalb der Hochschule, z.B. via Smartphone, starten zu können, um ein ortsunabhängiges und zeitlich flexibles Selbststudium mit wiederholbaren Übungen zu ermöglichen. „Unsere Aufgabe bis August 2024 wird es sein, auf die Frage ‚Ist es möglich, im virtuellen Raum eine Trainingseinheit zu gestalten, die Studierenden einen lohnenden Mehrwert bringt?‘ eine aussagekräftige Antwort zu finden.“

Zwischenergebnisse auf internationaler Fachmesse vorgestellt

Bis zum Projektende wird aber nicht nur innerhalb der Hochschulwände gearbeitet. Das neun-köpfige Projektteam legt viel Wert darauf, seine Erkenntnisse und Fortschritte zu teilen. Dafür reisten vier Mitarbeitende Ende Mai zur LEARNTEC, die mit rund 13.500 Teilnehmenden und 437 Ausstellern aus 21 Nationen als Europas größte Veranstaltung für digitale Bildung gilt. In zwei Vorträgen haben Prof. Martin Kreyßig, Prof. Daniel Ackermann, Pia Bothe (M. Sc.) und Marc Dannemann (M. A.) das Projekt „DigiLehR“ vorgestellt sowie über Theorie, Methodik und Didaktik im Themenfeld der Lehr-Lern-Szenarien in erweiterten Realitäten referiert.

26.06.2023
Author: Karoline Klimek
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