Studierende wollen über Ländergrenzen hinweg Regionen verbinden

KiNESIS-Projekt bietet Chance für junge Menschen und fördert gleichzeitig strukturschwache Regionen

Bratwurst, Lederhose, Fußball und Schlagermusik – mit reichlich stereotypischen Vorstellungen deutscher Kultur im Gepäck sind sechs niederländische Studierende und eine junge Italienerin im Rahmen eines besonderen Austauschprogramms nach Wernigerode gereist. Sie wollen hier nicht nur Deutschland abseits der Klischees kennenlernen, sondern auch eigenes Fachwissen teilen und damit aktiv das Leben in der Stadt und der Region mitgestalten. Es ist diese Win-win-Situation, die Treibkraft des länderübergreifenden Verbundprojekts KiNESIS ist.

Auslandsaufenthalt mit großem Mehrwert

Neben Deutschland, vertreten durch die Hochschule Harz, sind zwölf Partnerinstitutionen – darunter vier weitere Hochschulen – aus Italien, Spanien, den Niederlanden und Estland an dem Projekt beteiligt. „Alle Partnerhochschulen liegen eingebettet in ländliche Regionen, die aufgrund des demographischen und strukturellen Wandels, aber auch aufgrund ökologischer Probleme vor enormen Herausforderungen stehen. Meist sind die lokalen Akteure aus verschiedenen Gründen aber nicht in der Lage, Lösungen zu finden“, verdeutlicht Projektleiterin Prof. Dr. Andrea Heilmann die Ausgangslage. „Auf der anderen Seite haben wir als Hochschulen Studierende mit frischen Ideen, die internationale Erfahrungen sammeln möchten. Wir bringen im KiNESIS-Projekt diese jungen Menschen mit den Akteuren der schrumpfenden Regionen zusammen, um im Rahmen von konkreten Projekten und Problemstellungen voneinander zu lernen.“

Jede Hochschule, die im Projekt eingebunden ist, bietet dabei in ihrer Region mehrmonatige Praktika an, die thematisch vorab mit den jeweils lokalen Partnern entwickelt worden sind. Auf diese Weise könnten sowohl die Bedürfnisse als auch der mögliche Unterstützungsbedarf geklärt werden, stellt Andrea Heilmann die Vorteile heraus. Alternativ sei eine Beteiligung im Rahmen einer Lehrveranstaltung möglich, sodass sich der Auslandsaufenthalt nur auf wenige Wochen beschränkt. „Nicht für jeden Studierenden ist es, zum Beispiel aufgrund von Nebenjobs oder privaten Verpflichtungen, möglich, ein Praktikum von zwei bis sechs Monaten im Ausland zu bewältigen. Um jedoch vielen Interessierten die Chance zu ermöglichen, bieten wir beide Optionen an“, erklärt die Projektleiterin.

Niederländer teilen Fachwissen zum Co-Working und Immobilienmanagement

Für einen zweiwöchigen Aufenthalt haben sich sechs junge Menschen aus dem niederländischen Groningen entschieden. Sie studieren an der Hanze University of Applied Sciences im fünften Semester im Studiengang „Immobilienmanagement“. „Innerhalb unseres Studiums ist eine Projektarbeit vorgesehen. Eine Option war, ein Konzept für Co-Working-Spaces in historischen Gebäuden zu entwickeln. Das hat uns sehr gut gefallen, weil wir neben dem Wissenszuwachs allgemein auch die Chance erhalten haben, nach Deutschland zu reisen und herauszufinden, wie hier mit dem Thema umgegangen wird“, erzählt die 21-jährige Hilde Inberg. „Es ist immer schön, auch eine andere Seite kennenzulernen. Co-Working-Spaces sind eine neue Möglichkeit des Arbeitens, die sehr zukunftsorientiert ist“, ergänzt Kommilitonin Selma Karakaya. Gemeinsam wollen sie ein erfolgsversprechendes Konzept erarbeiten.

In ihrer Heimat haben sie bereits mit Betreibern und Nutzern von Co-Working-Spaces gesprochen. Mit diesen gesammelten Erfahrungen sind sie auch in Wernigerode und der umliegenden Region auf Menschen zugegangen, um über deren Wünsche und Anforderungen an ein modernes Bürokonzept zu sprechen. Neben Interviews mit Studierenden und Mitarbeitenden der Hochschule Harz stand ein Besuch bei Wernigerodes Oberbürgermeister Tobias Kascha mit anschließendem Stadtrundgang ebenso auf der Agenda wie ein Treffen mit Ronald Fiebelkorn, Bürgermeister der Stadt Oberharz am Brocken. Die vom Bergbau geprägte, aus 13 Ortsteilen bestehende Stadt stehe exemplarisch für die schrumpfenden Regionen, die KiNESIS in den Blick nimmt, meint Projektkoordinatorin Dr.-Ing. Ute Urban, die die Studierenden während ihres Aufenthalts betreut. „Bei unserem Besuch habe ich mich besonders gefreut, dass der Bürgermeister einen niederländischen Gastronom und Hotelier, der sich in der zugehörigen Ortschaft Trautenstein niedergelassen hat, eingeladen hat. Dadurch konnten sich die Studierenden sogar mit einem Landsmann zu dessen Erfahrungen und Ideen austauschen.“

Italienerin möchte historische Pilgerroute bekannter machen

Während die niederländische Gruppe für zwei Wochen in Deutschland verweilt, hat sich Marika Lamberti für einen zweimonatigen Aufenthalt im Harz entschieden. Die 24-jährige Italienerin studiert „Interkulturelle Kommunikation im euromediterranen Raum“ an der Università di Napoli L'Orientale und hat sich einem Marketing-Projekt zur Via Romea Germanica verschrieben. Ihre Aufgabe: Den Pilgerweg, der vom norddeutschen Stade durch den Harz weiter über Österreich bis nach Rom führt, durch Social-Media-Kampagnen, die Übersetzung der Website und bestehenden Werbe-Broschüren ins Italienische sowie das Entwickeln ansprechender Veranstaltungsformate bekannter zu machen. Dazu spricht sie mit Akteuren vor Ort und sammelt durch diesen Austausch neue Marketing-Ansätze.

 „Die Via Romea wird leider von Pilgern nicht so wahrgenommen wie die nach Santiago de Compostela führenden Jakobswege“, bedauert Marika Lamberti. Dabei ist die Route mit 2200 Kilometern fast dreimal so lang wie der Camino Francés, der beliebteste der Jakobswege. 2020 wurde die Via Romea vom Europarat als „Europäische Kulturstraße“ zertifiziert. „Diese Zertifizierung war drei Jahre gültig. Ich möchte mit meinen Ideen und Konzepten auch dazu beitrage, dass sie erneut bestätigt wird.“

Vom märchenhaften Campus und kulturellen Unterschieden

Von der Schönheit der Harzregion ist Marika selbst bereits überzeugt. „Ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Wernigerode ist eine traumhafte Stadt, sie sieht aus wie eine Filmkulisse“, schwärmt sie. Im Gegensatz zu Neapel, wo die Straßen Tag und Nacht voller Menschen seien, sei es sehr ruhig und perfekt zum Entspannen. „Aber auf Dauer würde mir das pulsierende Neapel fehlen. Und das sonnige Wetter“, sagt sie mit Blick auf die Wetter-App, die selbst im Herbst 18 Grad anzeigt.

Von Unterschieden anderer Art berichten die angehenden Immobilienmanager aus den Niederlanden. „Die Preise für Häuser sind hier um ein Mehrfaches niedriger als bei uns. Unter 300.000 Euro gibt es kaum etwas“, verrät Hilde. Auch von den preiswerten Mensaangeboten sei die Gruppe begeistert, ebenso wie von der Stadt und dem Wernigeröder Campus im Gesamten. „Mit der Dampflok, den schönen Fachwerkhäusern, den Bäumen und dem See auf dem Campus ist es hier ein bisschen wie im Märchen“, beschreibt die 23-jährige Selma. „Hier kann man sich nur willkommen fühlen.“

Projekt bringt Vorteile für die gesamte Hochschule

Zusätzlich zu den Erfahrungen, die Studierende im Rahmen des Austauschs sammeln können, sieht Projektleiterin Andrea Heilmann einen Mehrwert für ihre eigene Arbeit sowie Vorteile für die gesamte Hochschule. „Für mich persönlich ist es sehr interessant, die anderen Hochschulen und deren jeweilige Art des Lehrens kennenzulernen. Jede Einrichtung geht den Wissenstransfer in die Regionen und die Zusammenarbeit mit Unternehmen unterschiedlich an. Das ist nicht nur spannend, sondern auch lehrreich“, bekräftigt sie „Für die Hochschule sehe ich den Mehrwert in dem neuartigen Weg, internationale Austausche auch unabhängig von einem kompletten Auslandssemester zu ermöglichen. Dadurch, dass wir diese in Lehrveranstaltungen einbinden können, ist das Angebot sehr flexibel und niederschwellig.“ Sie möchte die hiesigen Studierenden ermutigen, diese einmalige Chance noch bis zum nahenden Projektende zu nutzen.

 

JETZT FÜR AUSLANDSAUFENTHALT BEWERBEN

Für das kommende halbe Jahr sucht das KiNESIS-Team der Hochschule Harz noch Studierende, die an einem Austausch interessiert sind. Es ist sowohl ein mehrwöchiger als auch ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt in Italien, Spanien, den Niederlanden oder Estland möglich.

Eine Übersicht über angebotene Themen gibt es hier: Offene Praktikumsstellen

Vor der Bewerbung sollten sich Studierende bei Projektkoordinatorin Ute Urban melden, um offene Fragen zu klären und weitere Schritte abzustimmen.

17.11.2023
Author: Karoline Klimek
Image author: © Karoline Klimek, Stadt Wernigerode, Ute Urban
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Prof. Dr. Andrea Heilmann

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