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„1,5 Jahre Gefängnis für ‚schweigendes Herumstehen‘ am Rathaus“

GenerationenHochschule beleuchtete die Justiz in der DDR und deren Aufarbeitung

Nachdem der Jurist Prof. Dr. Armin Willingmann im Wintersemester 2009/10 in der GenerationenHochschule bereits über die Rolle der Juristen im Dritten Reich informiert hatte, stand am Dienstag, dem 19. März 2013, das „Recht im Sozialismus - Justiz in der DDR und deren Aufarbeitung“ auf dem Programm der beliebten offenen Vorlesungsreihe.

Vor vollen Rängen referierte der Rektor der Hochschule Harz über die Frage, wie mit dem Justiz-Unrecht, welches unzähligen Bürgern in der ehemaligen DDR widerfahren war, umzugehen und wie dieses zu bewerten sei. Um sich der Komplexität des Themas zu nähern, reiste der Experte für Deutsches und Internationales Wirtschaftsrecht zurück ins Jahr 1648. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde im Westfälischen Friede vereinbart: „Allgemeine Amnestie und immerwährendes Vergessen“.

Willingmann erläuterte weitere Optionen, die 1990 in Betracht kamen. Darunter eine „Nürnberg-Klausel“ oder „Wahrheitskommissionen“, die einen Täter-Opfer-Ausgleich herbeiführen sollten, wie beispielsweise zur Überwindung der Apartheid in Südafrika. Stattdessen wurde im Einigungsvertrag festgelegt, dass das Recht der DDR, insofern es mit dem Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union vereinbar wäre, zur Ahndung von Justiz-Unrecht herangezogen werde. Dies betraf auch §244 StGB der DDR, welcher die Rechtsbeugung regelte. Wurde also durch Richter und Staatsanwälte der ehemaligen DDR das Recht gebeugt, auf rechtswidrige Maßnahmen zurückgegriffen und somit den Bürgern Unrecht getan, so sollten diese nach jenem Paragraphen, der dem der BRD (§339 StGB) sehr ähnlich war, bestraft werden.

„Und Recht wurde gebeugt“, erklärte der Hochschulleiter und beschrieb Fälle, welche beispielsweise die Willkür der seit in einem „Crash-Kurs“ ausgebildeten Volksrichter und Staatsanwälte illustrierten. Aber auch später: 1,5 Jahre Gefängnis - so lautete das Urteil für einen Mann, der 45 Minuten stillschweigend auf dem Rathausplatz im heutigen Chemnitz für seine Ausreise „demonstriert“ hatte. Ein Jahr ins Gefängnis musste eine Frau, die sich im westdeutschen Fernsehen beklagt hatte, es sei eine Entmündigung, wenn sie nicht mit D-Mark sondern mit „Forum“-Schecks im „Intershop“, einer Ladenkette, die auch hinter der Grenze westliche Waren führte, bezahlen müsse.

Abschließend stellte Willingmann statistische Zahlen vor: 75.000 Ermittlungsverfahren wurden seit 1990 eingeleitet, davon ging es in 70% um Rechtsbeugung, nur 37% wurden zur Anklage gebracht. „Von jenen Verfahren endete ein Viertel mit einem Freispruch“, erklärte der Referent. Weitere Verfahren wird es nicht geben. Am 3. Oktober 2000, dem 10. Jahrestag der Deutschen Einheit, trat die absolute Verfolgungsverjährung in Kraft.

Im Anschluss an die Vorlesung eröffnete Prof. Dr. Armin Willingmann die Plakatausstellung „Jugendopposition in der DDR“, die noch bis Anfang Mai 2013 weitere Aspekte dieses spannenden Themas erlebbar macht. Gegen die Grenzen der SED-Diktatur setzten sich auch und insbesondere Jugendliche auf der Suche nach Orientierung und Wahrhaftigkeit zur Wehr. Die Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zeigt aus der Vielfalt der Opposition und des Widerstandes einige der Akteure. Beeindruckende Fotografien, Briefe und Dokumente präsentieren Schicksale einer Vergangenheit, die erst wenige Jahrzehnte zurückliegt. „Diese Ausstellung soll nicht nur unseren Studierenden zeigen, dass viele wichtige Veränderungen von mutigen Jugendlichen eingefordert wurden; wir freuen uns auch und insbesondere über den Besuch von Schulklassen“, betonte der Rektor.