Ausgangslage

Die Kombination aus demografischer Herausforderung und Fachkräftemangel führt in vielen Kommunalverwaltungen mittelfristig zum Verlust an Kompetenz und Wissen. Verbunden mit vergleichsweise hohen Krankenständen und Fehlzeiten sind Leistungsträger in der Verwaltung, die kurzfristig diese immer größer werdende Lücke schließen sollen, nun auch vor Überlastungssituationen zu schützen. Hinzu kommt, dass für die Beschäftigten die Wahrscheinlichkeit, neben ihren beruflichen Verpflichtungen die Verantwortung in der Sorge um Angehörige wahrnehmen zu müssen, steigt. Der Aspekt der „Familienfreundlichkeit“ öffentlicher Arbeitgeber ist ein wesentlicher Indikator für die Arbeitgeberattraktivität. Die Balance von Arbeit und Familie erschöpft sich jedoch nicht nur in der Kinderbetreuung, sondern bedarf einer Erweiterung um den Aspekt der Sorge und Pflege Angehöriger. Erst diese zusätzliche Fokussierung kann die Balance von Berufstätigkeit und Familie herstellen. Ein Leitfaden soll das Personalmanagement in Kommunalverwaltungen dabei unterstützen, eine pflegesensible Organisationsstruktur und -kultur zu entwickeln.

Im Rahmen des Kooperationsprojekts wurde ein Konzept entwickelt, das helfen soll, sowohl den besonderen Bedürfnissen pflegender Beschäftigter als auch dem Anspruch der Verwaltung nach einer fortgesetzt hohen Dienstleistungsqualität für Bürger*innen gerecht zu werden

Rechtlicher Rahmen

Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf trat am 01.01.2015 in Kraft. Zielgerichtet sollen Flexibilisierungsmöglichkeiten für pflegende Beschäftigte – verbunden mit einem Rechtsanspruch auf die befristete Freistellung bzw. Verminderung der Arbeitszeit – gestärkt werden. Die Einführung des Pflegeunterstützungsgeldes als Lohnersatzleistung und der Anspruch auf Förderung durch ein zinsloses Darlehen untermauern dies. Zudem genießen pflegende Beschäftigte bei Inanspruchnahme der Regelungen einen weitreichenden Kündigungsschutz. Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz gelten nicht für Beamte.

§2 Pflegezeitgesetz (PflegeZG): Angehörige haben die Möglichkeit, der Arbeit bis zu zehn Arbeitstage fernzubleiben, um in einer akuten Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Während dieser Zeit ist der Arbeitgeber von der Lohnfortzahlung befreit. Die Betroffenen erhalten das Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung, welches bei der Pflegeversicherung der zu pflegenden Person beantragt wird.

§3 Pflegezeitgesetz (PflegeZG): Beschäftigte haben einen Anspruch darauf, bis zu sechs Monate teilweise oder ganz aus dem Job auszusteigen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Der Arbeitgeber zahlt während der Pflegezeit lediglich die Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung. Beschäftigte können den Gehaltsausfall durch ein zinsloses Darlehen abfedern.

§2 Familienpflegezeitgesetz (FPfZG): Beschäftigte haben einen Anspruch darauf, ihre Arbeit bis zu 24 Monate auf bis zu 15 Stunden pro Woche zu reduzieren, um die pflegebedürftige Person in häuslicher Umgebung zu pflegen. Der Arbeitgeber zahlt während der Pflegezeit lediglich die Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung. Beschäftigte können den Gehaltsausfall durch ein zinsloses Darlehen verringern.

Pflegesensible Verwaltungskultur

Pflegesensibilität bedeutet, die Mehrfachbelastung pflegender Beschäftigter ernst zu nehmen und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützungsangebote zu entwickeln. Die Gestaltung einer pflegesensiblen Verwaltung erfüllt eine doppelte Aufgabe: Sie hilft einerseits, die reale Mehrfach-Belastung pflegender Beschäftigter abzufedern und überlastungsbedingten Fehlzeiten präventiv zu begegnen. Andererseits festigt eine positive Work-Life-Balance die Position kommunaler Arbeitgeber im Wettbewerb um Fachkräfte. Die Unterstützung pflegender Beschäftigter durch den Arbeitgeber hängt wesentlich davon ab:

  • ob eine offene Thematisierung der Angehörigenpflege in der Verwaltung möglich ist,
  • ob Betroffene das Verständnis für ihre Pflegesituation bei Kolleg*innen und Vorgesetzten erwarten dürfen,
  • ob niederschwellige Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebote vorhanden sind,
  • ob ein struktureller Rahmen für Personalmanagement und die Arbeitsorganisation zur Verfügung stehen, die an Stelle der starren Anwesenheitskultur flexible Arbeitsformen fördern und die Ergebnisorientierung stärken,
  • ob eine angemessene Risikoanalyse und die Förderung der Vertretbarkeit pflegebedingte Abwesenheiten erleichtern und die verbliebenen Kolleg*innen vor Überlastungen durch die zusätzliche Arbeit schützen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege kann gut gelingen, wenn die Unterstützung pflegender Beschäftigter als gemeinsames Ziel der Verwaltungskultur und der Arbeitsorganisation definiert wird.

Wege in die Pflege: Vorhersehbar und doch unerwartet

Zwei Phasen sind charakteristisch für die Situation pflegender Beschäftigter: die schleichende Verdichtung der sorgenden Alltagspflege über einen längeren Zeitraum und die plötzliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Pflegebedürftigen, die eine intensive Betreuung notwendig macht. Der Beginn des sorgenden Engagements liegt in der Regel weit vor der eigentlichen Pflegebedürftigkeit.  Diese „Vorlaufphase“ der Pflege bietet auch dem Arbeitgeber die Möglichkeit, sich auf eine zeitweise Abwesenheit der Beschäftigten vorzubereiten. Beschäftigte, die intensiv die Betreuung der Angehörige übernehmen, bei denen noch keine Pflegebedürftigkeit vorliegt, können einer stetig wachsenden Belastung ausgesetzt sein. Besonders herausfordernd ist die Situation, wenn das sorgende Engagement um mehrere Angehörige gefordert ist. Dies unterstreicht die Dringlichkeit von betrieblichen Regelungen und die Erfassung dieses Personenkreises für die Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Transparenz und Fairness

Transparente Information der Beschäftigten über die Möglichkeiten des Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetzes und die verwaltungsinternen Regularien zur Umsetzung der Vereinbarkeit sind die Grundvoraussetzung für eine pflegesensible Verwaltung. Sie geben den Betroffenen Handlungssicherheit. Für familienfreundliche Arrangements ist das faire Handeln elementar. Dies bedeutet, dass für alle Beschäftigten gleiche Bedingungen gelten sollten. Ziel sollte daher sein, dass jeder Betroffene auch auf das Gleiche zurückgreifen kann. Zu diesen fairen Arrangements gehört es, die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit für Beschäftigte auf allen Hierarchiestufen – also auch für Führungskräfte – verfügbar zu machen. Dies kann im Einzelfall – je nach Arbeitsbereich – durchaus individuelle Anpassungen allgemeingültiger Regeln beinhalten.

Rolle der Führungskräfte im Fokus

Führungskräfte stehen in einer besonderen Verantwortung. Ihr Verhalten ist prägend für eine pflegesensible Arbeitsatmosphäre im Team und die Unterstützung der Betroffenen. Führungskräfte entsprechen dieser Rolle, indem sie:

  • eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen mit besonderen Belastungen vorleben und deren Lebenssituation ernst nehmen,
  • Vorschläge der betroffenen Beschäftigten in die Planung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit mit einbeziehen,
  • auch gegenüber nicht pflegenden Kolleg*innen Vertrauen in die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähigkeit pflegender Beschäftigter zum Ausdruck bringen,
  • die Berücksichtigung der pflegerischen Verpflichtungen bei der Urlaubsplanung, der Erstellung von Dienstplänen oder der Aufgabenverteilung umsetzen,
  • die Übernahme von vertretungsbedingter Mehrarbeit durch Kolleg*innen wertschätzen.

Die regelmäßige Durchführung von Mitarbeitergesprächen sollte als Führungsaufgabe definiert und durchgesetzt werden. Sie sind das wirksamste Mittel, um Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu verabreden.

Unterstützung für pflegende Beschäftigte

In einigen Kommunalverwaltungen umfassen die Angebote arbeitgeberseitig:

  • themenorientierte Seminare und Workshops,
  • die Vermittlung externer Dienstleister, die den Pflegeprozess unterstützen oder von anderen Alltagsaufgaben entlasten,
  • das Vorhalten von Belegplätzen in stationären Einrichtungen und der Kurzzeitpflege.

Wesentliches Ziel der Maßnahmen ist die Steigerung der zeitlichen Flexibilität der Beschäftigten.

„Pflegepilot“ – Information, Beratung und Koordination

Informationsangebote und organisationsinterne Beratung können in der Institution des „Pflegepilot“ gebündelt werden und stellen den ersten praktischen Schritt dar. Beide Maßnahmen geben dem pflegenden Beschäftigten die Sicherheit und das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Leistungswillen und seine Leistungsfähigkeit. Damit entsteht in einer Verwaltung eine zentrale Informations-, Beratungs- und Koordinationsstelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Bei konkreten Vereinbarkeitsmaßnahmen plant der Pflegepilot gemeinsam mit anspruchsberechtigten Beschäftigten die Umsetzung, Koordination und Moderation zwischen Beschäftigten, Vorgesetzten und Personalverwaltung. Eine Verknüpfung mit den Angeboten des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist sinnvoll. Mit externen Partnern wie Kranken- und Pflegekassen, Sanitätshäusern oder ambulanten Pflegediensten kann der Pflegepilot beispielsweise auch Schulungen, Seminare oder Expertenvorträge organisieren.

Die fortlaufende, bedarfsgerechte Anpassung von Unterstützungsangeboten ist wesentlicher Teil der Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Die einzelnen Maßnahmen sollten daher regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls erweitert werden.