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Lehren, forschen, leben: So gelingt eine gute Work-Life-Balance

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, sang einst Udo Jürgens. „Mit 66 Jahren möchte ich mein Leben einfach genau so weiterführen wie bisher“, sagt dagegen Prof. Dr.-Ing. Hans-Jürgen Scheruhn. 30 Jahre lang war er Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Harz, hat in Wernigerode gelehrt und geforscht. Ans Aufhören will er trotzdem nicht denken. „Ich habe schon immer das getan, was ich tun wollte. Und obwohl ich sehr viel Zeit an der Hochschule verbracht habe, habe ich auch eine sehr gute Work-Life-Balance gehabt“, erzählt er. „Warum sollte ich daran etwas ändern wollen?“

In seinem Tatendrang unterstützt werden er und ähnlich engagierte Kolleginnen und Kollegen von der Hochschule gleich auf mehreren Ebenen. „Ich freue mich, dass ich als Lehrbeauftragter weiterhin an allen drei Fachbereichen mit den Studierenden arbeiten kann. Das inspiriert meine Forschung enorm. Diese wird dank der bestehenden Sponsoringmittel der msg group als langjährigem Partner weiter finanziert, ich betreue noch immer zehn Mitarbeitende“, erzählt Hans-Jürgen Scheruhn. „Eigentlich hat sich mit dem Semesterwechsel also nicht viel verändert, nur die Art meines Arbeitsverhältnisses.“

Besonderes Büro bietet flexible Arbeitsplätze

Hans-Jürgen Scheruhn arbeitet zudem an der Hochschule Harz von einem neuen Büroarbeitsplatz aus. „Wir haben auf dem Campus in Wernigerode ein Büro eingerichtet, das ausschließlich von Professorinnen und Professoren im Ruhestand für ihre Arbeitsphasen gebucht werden kann. Der Raum ist mit zwei höhenverstellbaren Schreibtischen, sämtlicher notwendiger Computer-Technik und abschließbaren Schränken ausgestattet“, erklärt Prof. Dr. Frieder Stolzenburg. Für den Prorektor für Forschung und Chancengleichheit ist es eine wichtige Form der Wertschätzung, dass die altersbedingt ausgeschiedenen Professorinnen und Professoren weiterhin in ihrer vertrauten Umgebung arbeiten und forschen können.

Für diese Möglichkeit ist auch Hans-Jürgen Scheruhn dankbar. „An den Campus zu kommen, ist nicht nur eine schöne Gewohnheit. Hier fühle ich mich viel mehr verbunden mit meinen Kolleginnen und Kollegen, den Studierenden und natürlich den Aufgaben an meiner Hochschule, beispielsweise im Christlichen Hochschulbeirat“, sagt er. Sein Zuhause bliebe auf diese Weise zudem alleinig seiner Familie und seinen Hobbys vorbehalten. „Ich habe drei Kinder, wobei zwei schon längst aus dem Haus sind. Mit meiner Tochter probe ich gern zusammen im Musikzimmer für gemeinsame Auftritte, begleite uns auf dem Klavier, spiele Gitarre und ganz frisch auch Jagdhorn. Mit meinem einen Sohn mache ich in der vorlesungsfreien Zeit - er studiert Medizin in Heidelberg und steht vor dem zweiten Staatsexamen - alte Segelschiffe wieder flott, mein zweiter ist Pilot und nimmt mich auf Langstreckenflügen auch mal im Cockpit mit“, verrät der 66-Jährige. „Ich gehe zum Ausgleich zudem gern in den kühlen Harzer Seen schwimmen, bin inlineskaten und biken oder arbeite als Skilehrer und halte mich so körperlich fit.“

Forschungsarbeit ist weltweit im Einsatz

Möglichst lang genug gesund bleiben, um weiterhin sein Leben genießen zu können, das sei sein größter Wunsch. Und dazu gehöre eben nicht nur die Freizeit, sondern auch der Beruf. „Ich bin Forscher. Für mich ist das eine Lebensaufgabe, eine Berufung. Das hört nicht einfach auf“, betont er. Der Zuspruch im direkten Umfeld sowie auf internationaler Ebene beflügele ihn zusätzlich, weiterzumachen. Vor allem mit seinem entwickelten Enterprise Online Guide (EOG), den er selbst als „Google Maps für Unternehmensprozesse“ bezeichnet, feiert er weltweit Erfolge. Das Tool wurde bereits an über 25 weiteren Hochschulen von Florida bis Sydney vorgestellt.

„Es war mir immer wichtig, auch meine eigene Lehre zu verbessern. Deshalb habe ich den EOG entwickelt. Die Studierenden können damit Abläufe und Zusammenhänge in Unternehmen nicht nur aus der rein technischen Sicht betrachten, wie es im Fach Wirtschaftsinformatik üblich ist, sondern auch mit einem Blick für betriebswirtschaftliche Aspekte“, hebt er die Besonderheit hervor. Der EOG simuliert eine Firma, wobei auf mehreren Ebenen wie der Unternehmensführung, Abteilungen oder am Arbeitsplatz einzelne Komponente, beispielsweise involvierte Mitarbeitende und genutzte Arbeitsmittel, verändert werden können, um die Auswirkungen auf die Prozesse zu veranschaulichen. So kann beispielsweise ein Aufgabenstau behoben werden, indem zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden, in einem nächsten Schritt sind dann jedoch die Auswirkungen auf die steigenden Personalkosten zu betrachten. Dabei kann sich der Nutzer durch alle Bereiche der Firma navigieren und mittels Zoomfunktion in den einzelnen Abteilungen auch Details betrachten – eben wie bei dem bekannten Online-Kartendienst.

Neues Amt im akademischen Interessenverband

Der EOG selbst ist produktneutral anpassbar, werde aber vorwiegend mit Prozessmanagement-Software der auf diesem Gebiet führend Firma SAP verwendet, erklärt Hans-Jürgen Scheruhn. Seit vielen Jahren ist er daher auch im SAP Academic Board DACH aktiv, wurde auf der jüngsten Sitzung als einer von zwei Sprechern für die Jahre 2025 und 2026 gewählt. „Damit vertrete ich zusammen mit meiner Kollegin Prof. Dr. rer. pol. Dipl.-Wirt.-Ing. Uta Mathis aus Esslingen die Interessen der Universitäts- und Hochschul-Lehrenden im deutschsprachigen Raum und stimme mich auch mit den anderen akademischen Vorständen ab, beispielsweise von der Cape Town University in Südafrika. Das macht richtig viel Spaß und ist eine große Ehre für mich“, betont er.

Eine seiner Aufgaben ist zudem die Organisation der jährlichen Konferenz des Verbands. Die nächste wird 2025 in Berlin und Potsdam stattfinden. Bei der jüngsten Tagung im September in Wien wirkte er aber nicht nur im Hintergrund. Für seine mehr als zehnjährige Arbeit am EOG und die Einbeziehung des Tools zur stetigen Weiterentwicklung seiner Lern- und Lehrpläne wurde Hans-Jürgen Scheruhn mit dem Curriculum Award ausgezeichnet. „Das ist eine Art Lebenspreis für meine Arbeit im Bereich der Lehre. Ich habe mich unglaublich über diese Anerkennung gefreut“, sagt er.

Aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert

Zudem hat er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von anderen Hochschulen sowie Unternehmen zwei wissenschaftliche Beiträge erfolgreich bei der Konferenz eingereicht. „In einem Beitrag zeigen wir am Beispiel des EOG Möglichkeiten auf, wie Unternehmen bei der Einführung und Umsetzung eines Nachhaltigkeitsmanagement unterstützt werden können“, erklärt Hans-Jürgen Scheruhn. „Der zweite Beitrag thematisiert die Zukunft der Geschäftsprozesssimulation in der wissenschaftlichen Forschung und akademischen Ausbildung. Speziell geht es darum, wie Künstlicher Intelligenz genutzt werden kann, um die Simulationen von Unternehmensprozessen zu optimieren oder automatisch Prozessmodelle, zum Beispiel mit ChatGPT, erstellen und auslesen zu lassen.“

Eine weitere Forschungsarbeit konnte gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin parallel auf der renommierten Internationalen Konferenz zum Geschäftsprozessmanagement (BPM) in Krakau vorgestellt werden. „Hier betrachten wir die Herausforderungen beim Lernen und Lehren von Prozessmanagement-Systemen, die aufgrund der zugrundeliegenden hohen Datenmengen extrem komplex sind. In dem Artikel zeigen wir, wie Modelle des Enterprise Online Guide genutzt werden können, um die Navigation durch diese verflochtenen Strukturen zu erleichtern“, verdeutlicht Hans-Jürgen Scheruhn. „Dadurch können Studierende die Prozessmanagement-Systeme viel schneller durchdringen und verstehen. Und genau das ist es, was mich schon seit Jahren antreibt: in meinem Forschungsbereich Anregungen zu geben, damit Studierende und Lehrende mit neuen, noch lange nicht voll ausgeschöpften digitalen Lern- und Lehr-Formaten sowie -Konzepten und den rasanten Änderungen im Bereich der Lehre von Prozessmanagement-Systemen Schritt halten können.“ 

 


Text und Foto: Karoline Klimek