Als dem erfolgreichen Rechtsanwalts Ludwig Chodziesner nach 45 Jahren seine Zulassung am 13.7.1936 entzogen wurde, war das der Beginn seiner vollständigen rechtlichen und menschlichen Vernichtung. Im Januar 1939 wurde er hochbetagt gezwungen, mit seiner Tochter Gertrud Kolmar in ein Judenhaus zu ziehen. Seine Villa wurde zwangsverkauft. Zwei Tage vor seiner Deportation musste Ludwig Chodziesner am 7. September 1942 die sog. „Vermögenserklärung“ ausfüllen, in der auch ein Bücherschrank aufgeführt ist. Am 9. September 1942 wird er nach Theresienstadt deportiert, wo er am 13. Februar 1943 gestorben ist.
Ein „Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch“ (J.J. Heines Verlag Berlin) aus dem Jahr 1894, „Homers Odyssee“ aus dem B.G. Teubner Verlag, ein Baedecker Reiseführer über die Schweiz aus dem Jahr 1913, ein Griechisch-Deutsches Schul-Wörterbuch aus dem B.G. Teubner Verlag Leipzig von 1879 und andere Bücher hat Ernst Wolff bei Aufräumarbeiten 1945 in der Synagoge am Fraenkelufer gefunden. Sie werden im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste, der Moses Mendelssohn Stiftung und Manfred Wolff geförderten Forschungsprojektes zum „Buchbestand Ernst Wolff“ erforscht. Die Moses Mendelssohn Akademie hat sich zum Ziel gesetzt, die ursprünglichen Eigentümerinnen und Eigentümer anhand von Namenseinträgen, Exlibris und anderen Annotationen zu identifizieren möglichst viele Bücher an deren Rechtsnachfolgerinnen oder Rechtsnachfolger zu restituieren.
Paul Chodziesner ist der erste Nachfahre eines durch die Nationalsozialisten enteigneten Juden, dem die Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt am 14. Februar 2024 Bücher seines Urgroßvaters zurückgeben kann. Für Paul Chodziesner und seine Familie ist das ein sehr bewegender Moment: „Je mehr die Geschichte beleuchtet wird, desto mehr versteht man, durch was meine Vorfahren gegangen sind.“, sagt er anlässlich der Bücherübergabe.
Die Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt ist froh, dass sie über dieses Forschungsprojekt den Nachfahren von während des Nationalsozialismus enteigneten Jüdinnen und Juden ein Stück Familiengeschichte zurückgegeben kann.
Beitrag in der Berliner Zeitung