Projektteam untersucht soziale Effekte von Technologie-Einsatz beim Kunststoffrecycling

Auswirkungen auf den Menschen und ethische Fragen im Fokus der Forschung

Leere Shampooflaschen, ausgelöffelte Joghurtbecher, benutzte Kaffeekapseln – jeden Tag sammeln sich unzählige Mengen von Abfall an, darunter wertvolle Kunststoffverpackungen. Diese zu recyceln, wird in Zeiten von Ressourcenknappheit, Meeresverschmutzung und Klimawandel immer wichtiger. Ob und wie Künstliche Intelligenz (KI) bei der Optimierung der Kreislaufführung von Kunststoffverpackungen helfen kann, untersucht das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt K3i-Cycling, in dem Universitäten, Unternehmen und Wissenschaftsinstitutionen aus ganz Deutschland zusammenarbeiten. Das beteiligte Forschungsteam der Hochschule Harz setzt dabei einen ganz besonderen Fokus abseits der technischen Komponenten. Die Gruppe um Prof. Dr. Alena Bleicher untersucht, wie sehr der Einsatz von digitalen Technologien, die zukünftig auch mithilfe von KI-Tools erweitert werden könnten, Einfluss auf Prozesse sowie Mitarbeitende in Entsorgungsunternehmen hat und widmet sich damit sozialen Aspekten und ethischen Fragen.

„In dem Verbundprojekt geht es vorwiegend um die Technologieentwicklung. Es wird unter anderem erprobt, wie mittels GPS-Technik in Fahrzeugen und Sensorik an Abfallbehältern die Sammelrouten optimiert werden können oder wie mittels eines digitalen Modells die Abläufe innerhalb der Recyclingkette generell sowie speziell in den Sortieranlagen verbessert werden können“, ordnet Alena Bleicher das Grundanliegen des Projekts ein. „Was mich als Soziologin jedoch interessiert, sind die Menschen, die eben mit jenen Technologien arbeiten müssen und deren Arbeitsalltag sich dadurch auf verschiedene Weisen verändern könnte.“ Dabei spielten beispielsweise Fragen von Überwachung, Überforderung und Effizienz eine Rolle.

Mehrwöchige Begleitung im Arbeitsalltag

Um den Faktor Mensch intensiv betrachten zu können, hat sich das Projektteam an der Hochschule Harz zwei Praxispartner gesucht, die bereits im Verbundvorhaben mitwirken: das private Unternehmen Lobbe in Iserlohn, das unter anderem eine Müll-Sortieranlage betreibt, und das kommunale Entsorgungsunternehmen EAD in Darmstadt. Besonders intensiv sei dabei die Zusammenarbeit mit dem hessischen Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) gewesen. „Das Unternehmen hat zugestimmt, dass wir dort unsere soziologische Forschung betreiben können. Wir durften die Mitarbeitenden nicht nur interviewen, sondern diese auch über einen längeren Zeitraum in ihrem Arbeitsalltag begleiten und beobachten“, erklärt Alena Bleicher.

Seit Mai 2023 hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Diana Ayeh vor Ort geforscht, ist auf Entsorgungs-Touren mitgefahren, hat mit den Mitarbeitenden im Außendienst ebenso gesprochen wie mit den Personen, die in der Verwaltung für die Digitalisierung im Unternehmen zuständig sind. „Die Besonderheit beim EAD ist, dass der Betrieb bereits sehr offen für neue Technologien ist, die im Rahmen des Projekts weiter ausgebaut werden. Die Fahrer sind beispielsweise mit Tablets ausgestattet, um auf ihren Routen die QR-Codes auf Mülltonnen scannen und ins System einspielen zu können“, erläutert Alena Bleicher. „Es gibt zudem erste Tests, Mülltonnen in Form von Unterflurcontainern mit Sensoren auszustatten, die Informationen darüber liefern, wann die Mülltonne voll ist. Mithilfe dieser Daten könnten Sammelrouten optimiert werden, indem auf strickte Fahrpläne verzichtet und stattdessen auf flexible, bedarfsorientierte Routen umgestellt wird.“

Interviews offenbaren Wissenslücken und Sorge vor Mehrarbeit

Doch um die technischen Details gehe es dem Projektteam an der Hochschule Harz nicht. Der Fokus liege allein auf den Auswirkungen auf den Menschen. Wie sehr digitale Technologien Einfluss auf Mitarbeitende haben können, darüber soll die Forschungsarbeit Aufschluss geben. Die notwendigen Daten werden aus eigenen Beobachtungsprotokollen und geführten Interviews entnommen. Derzeit wird dieses Material ausgewertet, auch wissenschaftliche Publikationen sind in der Vorbereitung. Für diese zeitintensive Arbeit wurde das Projektteam um die wissenschaftliche Mitarbeiterin Charlotte Benedix und die studentische Hilfskraft Lina Sofie Schöne erweitert.

Dabei seien Themen wie die Sorge vor Überforderung und Mehrarbeit relevant. „Mich interessiert schon seit Jahren das Phänomen des Nichtwissens und seine Rolle in Entscheidungsprozessen. Mit der Einführung von neuen Technologien können Unsicherheiten verbunden sein, wenn die Arbeit durch Technikeinsatz immer komplexer wird. Auch Wissenslücken können eine Rolle spielen“, verdeutlicht die Teilprojektleiterin. Gleichzeitig knüpfe sich die Frage zu den Auswirkungen neuer Technologien auf die Arbeitspraktiken an, beispielsweise ob Prozesse durch Technikeinsatz wirklich effektiver werden oder dieser einen Mehraufwand nach sich zieht und wie neue Technologien die Zusammenarbeit im Team verändern. Auch die Thematik einer möglichen Überwachung stehe im Raum. „Wenn beispielsweise GPS-Tracking für eine Routenoptimierung eingesetzt wird, könnte das Unternehmen nachvollziehen, wann und wo und wie lange der Fahrer anhält, ob er zum Beispiel eine nicht vorgesehene Pause einlegt. Diese Fragestellungen und die damit entstehenden Spannungsfelder werden in der Branche bereits diskustiert“, sagt Alena Bleicher. Die Interviews würden das bestätigen.

Forschungsarbeit soll Diskussionsräume öffnen

„Was wir anhand unserer Daten sehen, ist eine sehr aktive Auseinandersetzung der Mitarbeitenden mit digitalen Technologien“, erklärt Alena Bleicher. Denn ein reines Schwarz-Weiß-Denken gebe es an der Stelle nicht. „Es geht nicht nur um die Entscheidung, ob Technologien zum Einsatz kommen sollen oder nicht. Damit sind stets auch andere Fragestellungen verbunden wie beispielsweise danach, welche Daten genau erhoben werden sollen und wie diese tatsächlich genutzt werden. Und das ist ein Thema, was im Unternehmen besprochen und thematisert wird und womit umgegangen werden muss.“ Zukünftig werde der Einsatz von KI-gestützten Technologien ebenfalls zu Fragen führen, ist sie sich sicher. „Dazu könnnen wir aktuell jedoch nur wenige Hinweise liefern, weil die Arbeit der Verbundprojektpartner, beispielsweise zur Einführung von KI-Tools, die Abfallarten mittels Bilderkennung erfassen können, noch nicht im realen Arbeitssetting umgesetzt ist. Aber die Annahmen und Erwartungen dazu sind auch in unseren Interviews ein Thema.“

Ihre Hoffnung sei, dass die Arbeit ihres Projektteams zu einem höheren Verständnis davon beiträgt, wie Prozesse zur Implementierung von digitalen Technologien ablaufen und welche Auswirkungen sie nach sich ziehen. „Dabei spielt auch die Frage ökologischer Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle, denn digitale Technologien haben diesbezüglich nicht nur Vorteile. Technik benötigt Rechenleistung, Sensoren können kaputt gehen und damit mehr Ressourcen verbrauchen als sie einsparen helfen“, regt Alena Bleicher zum Nachdenken an. Zudem sei der Technologie-Einsatz auch nicht die einzige Möglichkeit, das Recycling-Problem anzugehen. Im Projekt KIOptiPack, das wie K3I-Cycling zum vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten KI-Anwendungshub Kunststoffverpackungen gehört, wird erforscht, wie Verpackungen hinsichtlich des Produktdesigns für die Wiederaufbereitung optimiert werden können. „Wenn wir durch unsere Beobachtungen und Interviews aufdecken können, dass es diese verschiedenen Ideen und Sichtweisen gibt und damit unterschiedliche Zukunftsvorstellungen verbunden sind, öffnet das auch den Raum für Diskussionen“, betont die Teilprojektleiterin. Und das sei das Hauptanliegen ihrer Forschungsarbeit.
 

Öffentliche Veranstaltungen der Projektpartner


Um Diskussionen anzuregen und Transparenz zu schaffen, laden die Partner des KI-Hubs Anfang November an mehreren Standorten zu Tagen der offenen Tür ein. Dafür wurde ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Die Hochschule Harz beteiligt sich in Form eines Online-Vortrags. Am 4. November ab 18.30 Uhr referiert Alena Bleicher zum Thema "Vom Müllsammler zum Ressourcenmanager? Wie digitale Technologien den Wert von Arbeit in kommunalen Abfallwirtschaftsunternehmen verändern." Die Teilnahme ist über Microsoft Teams kostenfrei möglich, eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich. Hier geht es zum Teilnahmelink.

28.10.2024
Autor/Autorin: Karoline Klimek
Fotograf/Fotografin: © KI-generiert mit DALL-E
Bildrechte: © Hochschule Harz

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Prof. Dr. Alena Bleicher

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