Forschungsnews

Never Stop (Re)Searching 2021 – von gebrauchten Pullovern, suspekten Geodaten und korrekten Bilanzen

11.11.2021
Rektor Prof. Dr. Folker Roland eröffnet die Veranstaltung mit einer kurzen Ansprache.
Rektor Prof. Dr. Folker Roland eröffnet die Veranstaltung mit einer kurzen Ansprache.
Ausschnitt aus der im Rahmen des Projekts DigiShop entstandenen Dorf- und Hofladenkarte für Sachsen-Anhalt – ein Beispiel von vielen für den Einsatz freier Geoinformationen in Projekten an der HS Harz.
Ein Ausschnitt aus der im Rahmen des Projekts DigiShop am Fachbereich Automatisierung und Informatik entstandenen Dorf- und Hofladenkarte für Sachsen-Anhalt – ein Beispiel von vielen für den Einsatz freier Geoinformationen in Projekten an der Hochschule Harz.
Kurzbericht von "Never Stop (Re-)Searching" | Christian Reinboth

Nach dem pandemiebedingten Wechsel in die Digitalität, fand das beliebte Veranstaltungsformat „Never Stop (Re)Searching“ am 11.11.2021 erstmals wieder unter 2G-Regeln und mit eng begrenzter Teilnehmerzahl in sicherer Präsenz statt. Die Veranstaltungsreihe dient der Förderung des hochschulinternen Austausches über die Ergebnisse der professoralen Forschungssemesterprojekte sowie laufender Dissertationsvorhaben.

Im Rahmen seines kurzen Eröffnungsvortrags bedankte sich der erst am Vorabend mit großer Mehrheit im Amt bestätigte bisherige und neue Rektor der Hochschule Harz, Prof. Dr. Folker Roland, beim scheidenden Prorektor für Forschung und Transfer, Prof. Dr. Georg Westermann, für dessen unermüdlichen Einsatz für die Forschung während seiner beiden insgesamt zehnjährigen Amtszeiten. Mit dem Application Lab entstand unter der Leitung von Prof. Westermann eine für Hochschulen für angewandte Wissenschaft nach wie vor innovative neue Support-Struktur, die Professorinnen und Professoren bei der Einwerbung und Verwaltung von Drittmitteln sowie in der Wissenschaftskommunikation unterstützt und damit den an den früheren Fachhochschulen fehlenden universitären Mittelbau ersetzt. Das Volumen an vereinnahmten Drittmitteln stieg während der Amtszeit von Prof. Westermann von rund 2,5 Millionen Euro auf deutlich über 4 Millionen Euro an.

Nach den einführenden Worten des Rektors berichtete zunächst Prof. Dr. Georg Felser vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften über die Ergebnisse seines letzten Forschungssemesters. Der Experte für Markt- und Konsumpsychologie hatte sich im Rahmen mehrerer Erhebungen und Experimente mit den Gründen befasst, die Menschen zum Kauf gebrauchter Waren motivieren – oder sie davon abhalten. Dabei zeigte sich, dass die Vorstellung davon, dass andere Personen die Gegenstände benutzt und dabei berührt haben, als wesentlicher Hinderungsgrund betrachtet werden muss. So bewerteten etwa Versuchspersonen gebrauchte Kleidungsstücke in einem fiktiven Online-Shop negativer, wenn begleitende Fotos und Texte die potentiellen Käuferinnen und Käufer indirekt darauf aufmerksam machten, dass die Kleidung bereits von anderen Personen getragen wurde. Als motivierende Faktoren kristallisierten sich neben den niedrigeren Preisen unter anderem der „Spaß am Stöbern“, die Teilhabe an der Vergangenheit von Objekten, die bessere ökologische Bilanz sowie die Freude an der Gemeinschaft der „Gebrauchtwarencommunity“ heraus, weitere bremsende Faktoren sind dagegen die Sorge vor einer geringeren Qualität gebrauchter Waren sowie die Befürchtung, dass der Kauf von Gebrauchtwaren bei Dritten den Eindruck erzeugen könnte, dass man sich keine Neuwaren leisten könne.

Neben diesen Erkenntnissen zum Gebrauchtwarenmarkt stellte Prof. Felser noch ein weiteres Ergebnis vor, welches er während seines Forschungssemesters gemeinsam mit dem Doktoranden und Graduiertenstipendiaten Lukas Röseler und zwei weiteren Kolleginnen publizieren konnte: Die gescheiterte Replikation einer in 2009 veröffentlichten Studie zur unterschiedlichen Wahrnehmung von Mengen kleinerer gleichfarbiger oder verschiedenfarbiger Objekte. Während in vielen wissenschaftlichen Disziplinen meist nur positive Ergebnisse prominent publiziert werden können, ist in der Psychologie im Zuge der sogenannten Replikationskrise zunehmend auch die Veröffentlichung von Daten zu gescheiterten Versuchen oder gescheiterten Wiederholungen früherer Studien möglich – ein wichtiger Beitrag zur internen Qualitätssicherung der Wissenschaft.

Die zweite Präsentation des Nachmittags war dem Umgang mit offenen Geodaten gewidmet, die inzwischen nicht mehr nur von Behörden und Unternehmen, sondern auch von vielen Freiwilligen für Projekte wie etwa die Open Street Map generiert und zur Verfügung gestellt werden. Der Geoinformatiker Prof. Dr. Hardy Pundt vom Fachbereich Automatisierung und Informatik hatte sich im Rahmen seines aktuellen Forschungssemesters damit auseinandergesetzt, inwieweit man auf die Qualität solcher Daten vertrauen kann und hierzu unter anderem Einschätzungen von Behörden wie Unternehmen zur Nutzbarkeit eingeholt. Dabei zeigten sich nicht nur erhebliche Unterschiede zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, sondern auch zwischen der Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit von Daten der öffentlichen Hand und solchen Daten, die etwa über Bürgerwissenschafts- oder Freiwilligenprojekte kostenfrei ins Netz gelangen. Zahlreiche Fragen aus der Zuhörerschaft zum möglichen Einsatz freier Geodaten im Rahmen anderer Vorhaben an der Hochschule Harz unterstrichen die wachsende Bedeutung räumlicher Informationen für eine Vielzahl von Forschungsfeldern.

Den letzten Vortrag des Tages hielt Prof. Dr. Inga Dehmel vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Sie hatte sich in ihrem Forschungssemester mit der Frage beschäftigt, wie Unternehmen immaterielle und damit nur schwer greifbare Werte – von selbstentwickelter Software über die Bekanntheit eigener Marken bis hin zum Know-How ihrer Beschäftigten – erfassen und damit eine realistischere Beurteilung ihres Unternehmenswertes ermöglichen können. Die Bewertung solcher immateriellen Werte nimmt vor dem Hintergrund der Digitalisierung erheblich an Bedeutung zu – gerade in wissens- und technologiegetriebenen Unternehmen wie Google oder Apple ist schließlich ein Großteil der den Wert dieser Konzerne ausmachenden Vermögenswerte nicht mehr anfass-, zähl- oder inventarisierbar. Die umfangreichen Untersuchungen der Professorin für Externes Rechnungswesen ergaben, dass eine finanzielle Quantifizierung über die Ausweisung in der Bilanz oder der GuV mit großen Unsicherheiten und Möglichkeiten der Manipulation verbunden ist. Die Lösung des Problems muss daher in den Augen von Prof. Dehmel nicht im Rechnungswesen, sondern an anderer Stelle erfolgen. Als Alternative empfiehlt sie interessierten Unternehmen die beschreibende Darstellung solcher immateriellen Werte etwa im Bilanzbericht, in der Kapitalflussrechnung oder in einem separaten Strategic Resources and Consequences Report. Inwiefern solche verbalen Beschreibungen potentielle Investorinnen und Investoren in die Lage versetzen, die Bedeutung immaterieller Unternehmenswerte realistisch einschätzen zu können, war Gegenstand lebhafter Diskussionen im Anschluss des Vortrags.

Die von Forschungsreferentin Kathleen Vogel organisierte Veranstaltung fand mit dem traditionellen Buffet im Foyer der Rektoratsvilla ihren Ausklang. Die nächste hochschulöffentliche Präsentation von Dissertations- und Forschungssemesterprojekten ist für das zweite Quartal 2022 geplant.

Veröffentlichungen der Vortragenden zu ihren Forschungssemestern

Prof. Dr. Georg Felser

Röseler, Lukas; Felser, Georg; Alsberger, Jana und Schütz, Astrid: No effect of variety on perceived quantity: Evidence from six studies, Preprint in PsyArXiv, https://doi.org/10.31234/osf.io/v643q.

Prof. Dr. Hardy Pundt

Pundt, Hardy und Scheinert, Martin: Deciding on Climate Change Adaptation Measures: A Living-Lab-Approach Profiting from VGI in an Interactive Mapping-Service, in: AGILE GIScience Ser., 2, 40, 2021, https://doi.org/10.5194/agile-giss-2-40-2021.

Prof. Dr. Inga Dehmel

Dehmel, Inga: Aktuelle Herausforderungen für die Rechnungslegung immaterieller Vermögensgegenstände in Anbetracht ihrer steigenden Bedeutung durch die Digitalisierung, in: KoR, 21. Jg. (2021), S. 245-253.