Technik, Kreativität und Zukunftsdenken vereint im Smart Automation Studium

Als ich mich mit Melanie Stolze im Prozessleittechniklabor im Haus 9 der Hochschule für einen Interviewtermin verabredet habe, wusste ich weder, dass ich Zugang zu dem Flur habe, noch dass es neben dem Erdgeschoss weitere Etagen gibt. Dies ist auch bezeichnend für meinen Kenntnisstand über den aktuellen Stand der Automatisierung sowie über das Studium der Smart Automation. Umgeben von Computern und Maschinen habe ich mit Melanie über ihr Studium, ihre persönlichen Ziele und ihre Meinung zur Zukunft von industrieller Automatisierung gesprochen.

Das Studium der Smart Automation

Melanies Eltern sind in den Bereichen der Anlagenautomatisierung und dem Maschinenbau selbstständig. 2004 gründeten sie das Unternehmen My Stahlmann e.K.. Damit ist Melanie schon von Klein auf in das Thema der Automatisierungstechnik hineingewachsen.

Melanie: “Schon nach meinem Realschulabschluss wollte ich kein normales Abi machen. Also habe ich ein technisches Abi in Hildesheim gemacht. Und nach dem technischen Abi wollte ich nicht nur Maschinenbau studieren, weil es mir zu allgemein war. Also habe ich die Richtung Automatisierungstechnik gewählt. In der Nähe gab es dann die Hochschule Harz, hier in Wernigerode, wo die Lage auch noch naturnah ist. Also habe ich mich für das Studium hier entschieden. Das Studium gefällt mir ganz gut. Das einzige, was für mich ein bisschen überhand hat, ist das Programmieren im softwaretechnischen Bereich. Es ist ganz gut, ein Verständnis für andere Programmiersprachen wie C, C++, Java usw. zu erlangen, jedoch geht dadurch die SPS-Programmierung von sicherheitsgerechten Prozessen etwas unter. Aber das hat dann die Praxiserfahrung zwischendurch ausgeglichen.”

Smart Automation in der Praxis

Melanie ist im 6. Semester des Bachelorstudiengangs Smart Automation. Das Studium dauert sieben Semester, wobei im letzten Semester die Bachelorarbeit während der Praxisphase geschrieben wird.

Melanie: “Nächstes Semester bin ich im Bachelor-Praktikum bei KSM hier in Wernigerode. Da habe ich die letzten zwei Jahre als Werkstudentin gearbeitet. Der Vertrag liegt auch schon vor. Es fehlt nur noch die Unterschrift.”

Die KSM Castings Group ist ein Lieferant für Gussprodukte in Wernigerode und stellt unter anderem Fahrwerksteile für Unternehmen wie VW, Benteler und Daimler her. Melanie hat sich schon zu Beginn ihres Studiums bei verschiedenen Unternehmen als Werkstudentin beworben.

Melanie: “Am Anfang des Studiums habe ich mir gesagt: Ich will während meiner Lehrzeit auch praktische Erfahrungen sammeln. Ich habe mich dann bei mehreren Firmen beworben und KSM hat mir als eines der wenigen Unternehmen die Türen geöffnet, während andere ihre zugelassen haben. Seitdem arbeite ich in der Wärmebehandlung. Anfangs musste ich mich erstmal einarbeiten und mich in die Firma einfinden. Aber zum Ende konnte ich selbstständig sicherheitsrelevante SPS-Programme schreiben, die in die vorhandenen Prozessabläufe integriert wurden. Ich musste direkt im laufenden Betrieb meine Programme testen, welche am Ende auch erfolgreich liefen. Da stehen dann zwar öfter einige Werker hinter einem, die einem immer über die Schulter schauen und scherzhaft sagen: ‘Mach hier ja nicht alles kaputt. Verursache keine Störungen’. Aber wenn die Programme dann laufen, hat man sich auch den Respekt erarbeitet. Und dann haben sie einen auch akzeptiert. Sagen wir’s mal so.”

Was man mitbringen sollte

Junge Mädchen scheuen sich häufig davor, ein MINT-Fach zu studieren. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Häufiges Ausschlusskriterium ist der hohe Anteil von Mathe und Informatik im Studium. 

Melanie: “Wenn ich einen technischen Prozess sehe oder irgendetwas in der Hand habe, muss ich Interesse daran haben, wie es funktioniert. Dann ist man geeignet für ein MINT-Fach. Wenn das einem aber egal ist, dann ist man auch nicht für so ein Studium geeignet. Das muss man auch klar so sagen. Und Programmieren ist eigentlich nur Logik. Die äußert sich zwar in anderer Schriftform, mit if und else, aber es ist wirklich nur reine Logik. Davor braucht man auch keine Angst haben. Ich würde jedem, der sich für diese Fächer interessiert, raten, sich durch Ferienarbeit in industriellen Betrieben Einblicke in die alltäglichen Arbeiten zu verschaffen. Leider bieten viele Firmen so etwas jedoch nicht mehr an, da das geeignete Fachpersonal, dass den Schülern Wissen vermittelt, fehlt. Das ist in meinen Augen sehr schade. Die Jugendlichen könnten sich aber auch mit ihren Eltern zu Hause hinsetzen und an technischen Geräten basteln. Es gibt zum Beispiel den Raspberry Pi oder den Arduino, womit man sich selbst eine kleine Bewässerungsanlage basteln kann. Man muss es einfach mal ausprobieren, sonst kommt man auch nicht in den Bereich rein. Videos von industriellen Prozessen anzusehen, nützt da nichts. Zurzeit programmiere ich zum Beispiel ein Spiel. Einfach so, um es mal kennen zu lernen. Man muss es selbst machen und dann schauen, ob es einem wirklich gefällt. 
Hier an die Hochschule kommen manchmal auch Mädchen für ein oder zwei Tage, um einen Einblick in die MINT-Fächer zu bekommen. Das ist sehr schön aber zu wenig. Sie lernen nur einen kleinen Teil kennen und sehen nur die dunklen Labore, aber nicht, was es alles für Möglichkeiten in der Industrie gibt und wie man dort auch seine Kreativität ausleben kann.”

Um Schülerinnen einen tieferen Einblick in die Studiengänge und die verschiedenen Anwendungsbereiche zu geben, bietet die Hochschule Harz seit Januar 2019 die Möglichkeit an, das Schulpraktikum am Fachbereich Automatisierung und Informatik zu absolvieren.

Melanie: “So etwas ist ein wichtiger Ansatz.”

Mehr als nur Informatik und Technik

Melanie: “Das Spiel, das ich zurzeit programmiere, nenne ich Colour-Confusion. Da baue ich mir einen kleinen Gameboy mit vier LEDs in der Mitte – rot, grün, blau und gelb. Die leuchten dann in einer gewissen Kombination auf. Darunter sind dann vier Taster, die der Bediener in der richtigen Reihenfolge drücken muss. Je besser er wird, desto mehr Farbkombinationen werden generiert und desto schneller wird alles abgespielt. Am Ende soll man das auch im Zweispielermodus spielen können. In dem Projekt sind damit verschiedene Bereiche abgedeckt: Elektrotechnik, Mathematik, Programmierung.”

Kreativität ist ein weiterer Bereich, der mit diesem Projekt abgedeckt wird. Als Studentin des Studiengangs Medien- und Spielekonzeption weiß ich aus eigener Erfahrung, wie viel kreative Energie in ein Spiel fließt, dass nicht nur ein einfaches Computerspiel ist, sondern zusätzlich eine alternative Steuerung nutzt. 

Melanie: “Und das ist auch in der Automatisierung so. Viele denken immer nur an Programmieren. Ist aber nicht so. Es fließt auch viel Kreativität mit ein. Was für Mädchen auch interessant sein kann, ist die Visualisierung. Prozesse müssen in einem Human Machine Interface – HMI genannt – dargestellt werden, sodass die Mitarbeiter die Anlage auch bedienen können. Da würde man dann die Variablen zur Steuerung des Prozesses vom Programmierer bekommen und müsste diese dann so visualisieren, dass die Person, die die Maschine bedient, dies möglichst intuitiv macht.”

Die Zukunft der Automatisierung

Auch für ihre Zukunft hat Melanie schon Pläne.

Melanie: “Erstmal hatte ich überlegt, meinen Master in Magdeburg in der Automatisierungstechnik zu machen. Danach wollte ich mir die Möglichkeit offenhalten, meinen Doktor zu machen. Das hängt aber davon ab, ob ich nach dem Master noch die Möglichkeiten dafür habe. Irgendwann möchte man ja auch mit seinem Wissen Geld veridenen. Danach ist dann auf jeden Fall der Einstieg bei meinen Eltern geplant. Man sagt ja immer, man soll sich erst in der Praxis die Hörner abstoßen und das versuche ich auch schon seit vielen Jahren während meiner Lehrzeit zu machen. So kann ich Erfahrungen sammeln und diese später mit ins Unternehmen nehmen.”

Auch in der Zukunft wird das Feld der Automatisierung nicht langweilig, denn der technologische Fortschritt bringt Herausforderungen mit sich, über die sich auch Melanie Gedanken macht. Als regelmäßige Besucherin der Hannover Messe versucht sie stetig am Puls der Zeit zu bleiben und bildet eine eigene kritische Meinung zu den verschiedenen Trends.

Melanie: “Leider wird im Studium nicht wirklich vermittelt, was eigentlich Industrie 4.0 heißt. Ich denke aber in Zukunft werden die Anlagenbediener, die in Schichtarbeit anstrengende Arbeiten verrichten, wie Teile einlegen und entnehmen, durch die Automatisierung ersetzt werden. Dann gibt es nur noch das Wartungspersonal und die Programmierer, die für die technischen Prozesse verantwortlich sind. Aber eigentlich ist es die Aufgabe der Automatisierung auch wieder Arbeitsplätze zu schaffen. Da ist nur die Frage: Wo? 
Das ist schwierig. Also ich weiß auch nicht, wo genau das Ganze hinführt. Aber so schnell wird es hoffentlich nicht dazu kommen, weil so viele Anlagen noch keine 10 Jahre Betriebszeit haben und eine Umrüstung auf neuere Technik zu kostspielig wäre.”

Auch die Politik beginnt langsam damit, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ein Ansatz ist ein gesichertes Grundeinkommen für alle, egal ob sie einen Job haben oder nicht.

Melanie: “Wenn alle nur noch zu Hause sitzen, dann fehlt doch die Gemeinschaft und die Kommunikation untereinander. Und wenn man den ganzen Tag nichts macht, verfällt der Mensch irgendwann in einen Trott oder in eine Depression. Viele, die drei Wochen Urlaub hatten, sind froh, wenn sie wieder arbeiten können, einfach damit sie beschäftigt sind und den Kontakt zu Mitmenschen pflegen können. Deswegen bin ich nicht unbedingt dafür, alles zu 100% zu automatisieren. Für mich heißt Automatisierung, den Menschen zu entlasten und nicht zu entlassen.”

Eine Danksagung von Melanie

Melanies: “Ich möchte mich bei den Unternehmen, die mich auf meiner bisherigen Laufbahn begleitet haben und bei KSM und seinen Mitarbeitern bedanken. Diese Menschen haben sich während meiner praktischen Tätigkeit Zeit für mich genommen und mich in meinen Aufgaben unterstützt. Dieses Engagement hat bei mir bleibende Eindrücke hinterlassen. Die Chancen, sich außerhalb der Lehrzeit fachlich weiterzubilden, werden heutzutage immer geringer und deshalb sollte man diese auch wertschätzen."

Veröffentlicht am 2.12.2019
Text: Alexandra Herbersdorf