Von Lena Koch und Charlotte Borchert
Die Studierenden aus dem Projekt „Strategien zur Sensibilisierung von Mitarbeitenden der Öffentlichen Verwaltung für Jüdisches Leben und die Bekämpfung von Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“ machte sich am 9. Oktober 2024 auf eine bewegende Reise durch das jüdische Halberstadt. Der Stadtrundgang, organisiert von der Seminarleiterin der Hochschule Harz Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen und Jutta Dick, Vorständin der Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt, ermöglichte den Teilnehmenden des Projektes tiefe Einblicke in die reichhaltige jüdische Geschichte der Stadt Halberstadt. Gerade in Zeiten eines zunehmenden Antisemitismus, des Krieges in Israel und des Gedenkens an den Anschlag auf die Synagoge in Halle, ist das Bewusstsein für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt von besonderer Bedeutung.
Geschichte hautnah erleben
Der Rundgang begann in der Klaus im Rosenwinkel 18, einem ehemaligen jüdischen Lehrhaus, das einst von Schriftgelehrten genutzt wurde, um die Heilige Schrift zu studieren, zu lehren und zu publizieren. Hier, inmitten des alten jüdischen Viertels, wurde schnell deutlich, wie tief jüdisches Leben seit dem 13. Jahrhundert in die Stadtgeschichte Halberstadts verwoben ist. Das Lehrhaus, ein verstecktes Hintergebäude, überstand die Pogromnacht 1938 unbeschadet, da es von einem mutigen Hausmeister verteidigt wurde – ein eindrückliches Symbol für den Widerstand gegen den aufkommenden Antisemitismus.
Die Studierenden besuchten insgesamt zehn Stationen, darunter das Wohnhaus von Behrend Lehmann. Als Hofjude hatte er sich ein weitreichendes Netzwerk zu den Herrschern in Brandenburg-Preußen, Sachsen, Braunschweig und Hannover aufgebaut. Lehmann spielte auch eine bedeutende Rolle bei der Modernisierung der Verwaltung und erlangte zeitweise große Macht am Hofe des Großen Kurfürsten „August der Starke“. Doch die Stationen zeigten auch die Abhängigkeit und Verwundbarkeit jüdischer Bürger: Lehmann war, wie viele andere Hofjuden, stets vom Wohlwollen der Herrscher abhängig.
Erinnerung an jüdische Kultur und Verfolgung
Ein besonders eindrucksvoller Moment für die Studierenden war der Besuch des jüdischen Friedhofs, der 1645 angelegt wurde. Von den ursprünglich 2000 Gräbern sind heute nur noch 400 Grabsteine erhalten. Viele Steine wurden in der NS-Zeit entfernt, um als Baumaterial verwendet zu werden – eine bittere Erinnerung an die Zerstörung jüdischer Kultur während des Nationalsozialismus. Auch die Station an der Willi-Cohn-Straße, benannt nach einem angesehenen jüdischen Kaufmann, verdeutlichte das Schicksal der jüdischen Bevölkerung: Cohn wurde aus einem Altersheim deportiert. Vor dem Dom erinnern heute Gedenksteine an die Opfer des Nationalsozialismus.
Halberstadts jüdisches Erbe reicht bis ins Mittelalter zurück. Die Bischöfe und später die Kurfürsten stellen den Juden Schutzbriefe aus, die ihnen das Recht gaben, sich anzusiedeln und eine jüdische Gemeinde zu gründen. Dafür mussten sie Sondersteuern entrichten. Trotzdem war das Leben der jüdischen Gemeinde stets geprägt von Unsicherheit und Abhängigkeit. Die jüdischen Viertel lagen oft in ärmliche Stadtteilen, was das ambivalente Verhältnis der Stadt zu ihrer jüdischen Bevölkerung verdeutlicht.
Bedeutung für die Gegenwart
Die Exkursion bot den Studierenden die Möglichkeit, sich mit der jüdischen Geschichte und den Auswirkungen von Antisemitismus intensiv auseinanderzusetzen. Angesichts der Jährung des Anschlags auf die Synagoge in Halle und der aktuellen politischen Lage in Israel wird deutlich, wie wichtig es ist, jüdisches Leben sichtbar zu machen und zu schützen. „Das Projekt zeigt uns, wie tief Jüdischsein in die Geschichte unseres Landes verankert ist und wie schnell Vorurteile und Hass in Gewalt umschlagen können“, äußerte eine Teilnehmerin nachdenklich.
Dieser Rundgang durch das jüdische Halberstadt hat den Studierenden nicht nur historische Fakten vermittelt, sondern sie auch dazu angeregt, Antisemitismus in all seinen Formen zu erkennen und ihm aktiv entgegenzutreten – eine wichtige Lektion für ihre spätere Arbeit in der Öffentlichen Verwaltung. Die Teilnehmer des semesterübergreifenden Projektes bedanken sich herzlich insbesondere bei Jutta Dick für einen spannenden und lehrreichen Stadtrundgang durch das jüdische Halberstadt sowie das Angebot zur regelmäßigen Unterstützung.