Wie Forschung und Politik das Leben auf dem Land attraktiver machen wollen

Dorfladen-Symposium an der Hochschule Harz gibt fachlichen Überblick zum Thema Nahversorgung im ländlichen Raum und vernetzt wichtige Akteure

Idyllisch, ruhig, nachbarschaftlich – das Leben auf dem Land verspricht ein Dasein abseits des anonymen Großstadttrubels. Doch das Bild bröckelt angesichts maroder Infrastruktur, fehlender Freizeitangebote und immer weniger Einkaufsmöglichkeiten. Unter dem Titel „Nahversorgung im Wandel: Dorfläden für die Zukunft gestalten“ hat die Hochschule Harz am 16. November 2023 zum Symposium eingeladen, um sich mit eigenen Forschungsergebnissen, externen Gastbeiträgen und viel Zeit zum Austausch diesem gesellschaftlich relevanten Thema zu widmen.

„Was ist, wenn der letzte Friseursalon, die letzte Dorfkneipe, der letzte Supermarkt schließt?“, stößt Prof. Dr. Hardy Pundt, der gemeinsam mit Prof. Dr. Andrea Heilmann die Tagungsleitung des Dorfladen-Symposiums übernommen hat, in seiner Begrüßungsrede zum Nachdenken an. „Diese Frage beschäftigt uns alle“, ist er sich sicher. Das würden nicht nur die wachsende Anzahl an Studien oder Initiativen zum Aufbau von Dorfläden zeigen, sondern auch das hohe Interesse an der Fachkonferenz. Angestoßen hatte den Austausch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz. Letztendlich saßen Vertreterinnen und Vertreter von zehn Ministerien aus sieben Bundesländern ebenso im Publikum wie Verantwortliche aus Kommunalverwaltungen und Beratungsstellen.


An der Hochschule Harz hat die Demografiefolgeforschung einen großen Stellenwert. Im Rahmen von praxisnahen Projekten haben sich in den zurückliegenden Jahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Suche nach Lösungen von Problemstellungen begeben, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben. In mehreren Kurzvorträgen wurden im Symposium bisherige Erkenntnisse, Erfolge und auch Misserfolge präsentiert.

So stellte Prof. Dr. Georg Felser, Professor für Markt- und Konsumpsycholgie, seine Erfahrungen aus dem LEADER-Projekt NAcHBaR vor, in dem der Bedarf an Nahversorgungsangeboten und sozialen Treffpunkten in Brachwitz bei Halle im Rahmen einer Machbarkeitsstudie in Kooperation mit dem Verein Brachwitzer Alpen ermittelt wurde. In Gruppendiskussionen, Interviews und Workshops wurden die Bedürfnisse der rund 930 Einwohnerinnen und Einwohner aufgenommen. Neben einer durchgängigen Busverbindung nach Halle und einer hausärztlicher Versorgung fehle vor allem ein Dorfladen, so das Ergebnis. „Der Dorfladen ist dabei aber nur eine Überschrift, die für so viel mehr steht“, ordnet der Projektleiter ein – für einen Treffpunkt, für ein größeres Miteinander. Ein Dorfladen ist am Ende nicht aufgebaut worden, dafür sind die Bewohner aber anderweitig aktiv in der Ausgestaltung des sozialen Lebens geworden. Sie initiierten unter anderen eine Märchennacht, einen Adventsmarkt und setzten sich für eine Spielplatz-Erweiterung ein.

Einen übergeordneten Blick auf die speziellen Herausforderungen kleiner Städte im ländlichen Raum gegenüber Großstädten hat Prof. Dr. Oliver Junk gegeben. Er ist nicht nur Professor für Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Kommunalrecht an der Hochschule Harz, sondern war auch langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Goslar. Ihn besorgt der Spagat zwischen den Vorteilen des dörflichen Lebens mit kurzen Wegen, niedrigen Wohnpreisen, familiärer Atmosphäre sowie den niederschwelligen Möglichkeiten der Teilhaben und aktiven Mitgestaltung einerseits und dem wirtschaftlichen Schwund aufgrund von Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung andererseits. „Entscheidend ist es, aus der Abwärtsspirale herauszukommen“, betont er. Denn weniger Bewohner bedeuten weniger Geld, das führe zu einer schlechteren Infrastruktur, dies wiederum zu fehlender Lebensqualität, weshalb noch mehr Bewohner weg- statt zuziehen würden. Er wünsche sich daher einen Umbau der öffentlichen Daseinsfürsorge sowie einen Ausbau und die Stärkung kommunaler Selbstverwaltung. „Diese spezifischen Herausforderungen gilt es zu meistern, um kleine Städte zu Gewinnerstädten zu machen.“

Im weiteren Verlauf der Konferenz haben Forschende der Hochschule Harz unter anderem Perspektiven für die Gestaltung sozialer Treffpunkte in ländlichen Räumen aufgezeigt, die Wirtschaftlichkeit von Dorfläden mit personalfreien Öffnungszeiten diskutiert und digitale Lösungsansätze für die Nahversorgung präsentiert. Zudem teilten externe Gäste ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis und dem Betrieb von Dorfläden.

„Ich erhoffe mir von der Konferenz, dass wir damit wichtige Impulse für Diskussionen schaffen“, formuliert Tagungsleiter Hardy Pundt. Und das scheint gelungen, wie die Rückmeldungen zeigen. „Die Veranstaltung war ein wichtiger erster Schritt hin zur Vernetzung von bedeutenden Akteuren deutschlandweit zum Thema digitale und smarte Dorfläden“, bekräftigt Rebecca Spaunhorst, die in der Stadtverwaltung Einbeck das Projekt Smart City koordiniert. Sie habe inhaltlich viel für ihre Arbeit mitgenommen. Erste Überlegungen zur Umsetzung habe sie bereits direkt nach der Veranstaltung mit ihrem Team diskutiert.

„Mit dem Symposium wurde ein bundesland-übergreifender Austausch zu Fragestellungen angestoßen, die für die Perspektive der Dorfläden eine zentrale Rolle spielen“, ordnet auch Volker Bulitta ein. Als Projektleiter M.Punkt RLP, einer zentrale Anlaufstelle für Fragestellungen rund um kommunale und regionale Nahversorgung, hat er einen Gastvortrag gehalten. „Ich würde mich freuen, wenn wir mit unseren Erfahrungen aus dem Projekt M.Punkt RLP in Rheinland-Pfalz einen Beitrag für die weitergehende Entscheidungsfindung zur zukunftsfähigen Gestaltung der Rahmenbedingungen für moderne Bürgerläden leisten konnten.“

Laut Tagungsleiter Hardy Pundt war das Symposium „ein gelungener Auftakt zur Vernetzung zwischen verschiedenen Bundesländern, Verwaltungsebenen, Wissenschaft und Praxis, um ein besseres Verständnis zu entwickeln, welche Forschungsfragen und -ziele zukünftig verfolgt werden sollen“. Es gehe darum, nachzuvollziehen, was den einzelnen Akteuren wichtig ist. Deshalb soll das erste Dorfladen-Symposium auch nicht das letzte gewesen sein. „Wir wollen diese Art der Veranstaltung auch mit Handwerksbetrieben und Unternehmen der Region wiederholen, um möglichst viele Entscheidungsträger und Mitgestalter zu erreichen“, gibt er einen Ausblick.

27.11.2023
Autor/Autorin: Karoline Klimek
Fotograf/Fotografin: © Sebastian Bürgel
Bildrechte: © Hochschule Harz

Themen:

Teilen:

Prof. Dr. Hardy Pundt

Tagungsleitung

Prorektor für Transfer und Digitalisierung
Tel +49 3943 659 105
Raum 6.112, Haus 6, Wernigerode
Sprechzeiten jederzeit nach vorheriger Vereinbarung per E-Mail

Prof. Dr. Andrea Heilmann

Tagungsleitung

Dekanin des Fachbereichs Automatisierung und Informatik
Tel +49 3943 659 300
Raum 2.015, Haus 2, Wernigerode
Sprechzeiten nach vorheriger Vereinbarung per E-Mail