Professoren untersuchen das Reiseverhalten von Kreuzfahrttouristen
Ein Besuch der Elbphilharmonie, ein Spaziergang durch die Speicherstadt oder doch lieber ein Einkaufsbummel durch die Mönckebergstraße? Das touristische Angebot in Hamburg ist vielfältig. Für welche Ausflugsziele sich Kreuzfahrtreisende besonders interessieren, haben Prof. Dr. Sven Groß von der Hochschule Harz und Prof. Dr. Julian Reif von der FH Westküste untersucht. Ihr Forschungsansatz könnte vor allem Großstädten bei der Lenkung von Touristenströmen und dem Ausbau von Angeboten abseits überlaufener Hotspots helfen. Ihre Ergebnisse haben sie jüngst im renommierten Fachmagazin „International Journal of Tourism Cities“ veröffentlicht.
„Wir alle hinterlassen bei der Nutzung von Smartphone-Apps digitale Spuren, die Big-Data-Anbieter sammeln und weiterverkaufen mit dem Ziel, personalisierte Werbung zu schalten, Markttrends zu analysieren oder Dienstleistungen zu verbessern. Dass ausgewählte Daten für die Tourismusforschung im akademischen Kontext genutzt werden, ist bisher nur in wenigen Ansätzen erprobt. Das hat diese Untersuchung für mich besonders spannend gemacht“, erzählt Sven Groß, Hochschullehrer für das Management von Verkehrsträgern an der Hochschule Harz.
Grundlage für die Studie, die vom Deutschen Institut für Tourismusforschung ermöglicht wurde, bildeten mobile Standortdaten, die Smartphone-Nutzer durch die entsprechende Freigabe in den Einstellungen beispielsweise von Wetter-, Spiel- und Fitness-Apps zur Verfügung stellen. Bezogen wurden die anonymisierten GPS-Daten vom Unternehmen MB Micromarketing, das sich auf geobasiertes Zielgruppenmarketing spezialisiert hat. „Die Datensätze stammen dabei aus dem Jahr 2019, um die verzerrte Statistik durch die coronabedingten Rückgänge der Reisen und explosionsartigen Anstiege nach der Pandemie zu umgehen“, sagt Sven Groß, der mit der gemeinsamen Arbeit an der Studie bereits im Jahr 2023 begonnen hat.
„Wir haben ausschließlich Signale von Geräten genutzt, die in einem der drei Kreuzfahrtterminals am Hamburger Hafen erfasst wurden sowie zwei Tage davor oder danach mindestens sechs Tage im Ausland registriert waren“, erklärt Forschungspartner Julian Reif. „Ausgeschlossen haben wir zudem Geräte, die regelmäßig in der Nähe der Häfen lokalisiert wurden und damit höchstwahrscheinlich Anwohnern gehören oder dem Liefer- und Frachtverkehr zuzuschreiben sind.“
Letztendlich hat das Forschungsduo die Daten von 1.431 Smartphones für ihre Auswertung nutzen können. „Das sind bei 810.000 Kreuzfahrtpassagieren im Jahr 2019 zwar nur 0,2 Prozent der möglichen Daten, dennoch ist die Methode im Vergleich mit der gängigen Praxis viel effektiver“, betont Sven Groß. „Bislang hat die Forschung bei der Analyse von Bewegungsströmen auf das individuelle Tracking mittels ausgegebener GPS-Geräte oder eine intensive, persönliche Beobachtung von Einzelpersonen gesetzt. Das ist natürlich extrem zeitaufwendig bei gleichzeitig geringem Daten- und damit Erkenntnisgewinn.“
Einen neuen Ansatz auszuprobieren, habe sich angesichts der Ergebnisse gelohnt. „Wir konnten elf besonders beliebte Ausflugsziele in Hamburg lokalisieren, dabei auch die Reihenfolge der besuchten Sehenswürdigkeiten nachvollziehen und Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Touristen herausarbeiten“, sagt der Harzer Tourismusexperte. „Deutsche Passagiere haben sich vor allem am Hauptbahnhof, im Bereich Baumwall und Landungsbrücken sowie am Fischmarkt aufgehalten. Neben der offensichtlichen Anreise per Zug konnten wir demnach ein hohes Interesse an maritimen Zielen beobachten. Ausländische Gäste waren am häufigsten am Flughafen anzutreffen und haben ihre Freizeit am liebsten in Hamburgs größten Einkaufsmeilen, dem Jungfernstieg und der Mönckebergstraße, verbracht.“
Ein weiterer Unterschied, der aus den Daten hervorgeht, ist die Verteilung der Passagiere in der Stadt. „Während Reisende aus dem Ausland vorwiegend im Zentrum unterwegs waren, haben sich die deutschen Gäste viel stärker über fast das gesamte Stadtgebiet verteilt“, erzählt Sven Groß. Und genau an der Stelle könnten Entscheidungsträger im Tourismussektor ansetzen und Angebote individualisieren. „Es könnten Anreize geschaffen werden, damit die ausländischen Touristen einen größeren Radius nutzen, um Hotspots zu entlasten. Zudem könnte das Interesse der deutschen Reisenden, sich auch abseits der typischen Sehenswürdigkeiten zu bewegen, durch innovative Produkte wie spezielle Tickets für den Nahverkehr noch weiter ausgebaut werden.“
Das Tracking von Urlaubern mittels GPS-Daten von Smartphone-Apps bietet laut Sven Groß einen vielversprechenden neuen Ansatz in der Tourismusforschung. „Wenn diese Daten mit weiteren Quellen kombiniert werden könnten, um auch Faktoren wie die genutzten Verkehrsmittel und Ausgaben zu identifizieren oder sozio-demografische Angaben zu Alter, Geschlecht und Herkunftsort in die Analyse einbeziehen zu können, würde das die Tourismusforschung sehr voranbringen“, ist er sich sicher. „Damit könnten gezieltere Lösungsansätze für die wachsende Herausforderung durch überlaufene Hotspots in Großstädten entwickelt werden, denn vielfältige Freizeitaktivitäten und sehenswerte Orte gibt es auch außerhalb der bekannten Pfade.“