Die Grafik zeigt den Ausschnitt einer Zeitleiste mit medientechnischen Innovationen.

„Man kann nur gut sein, wenn man das tut, was einen begeistert!“

Absolventin der Medieninformatik wird Professorin für Kommunikationsdesign in Konstanz

Zum Einstieg: Prof. Eva-Maria Heinrich war 2002 meine erste Diplomandin, am Ende meines ersten Semesters an der Hochschule Harz. Sie ging, ich kam. Über den Mitgründer des Studiengangs Medieninformatik Prof. Eberhard Högerle erfuhr ich, dass Eva-Maria Heinrich als Professorin nach Konstanz berufen wurde. Während eines Besuchs in Stuttgart verabredeten wir uns zum Interview. Unser Gespräch fand wegen der gängigen Corona-Regeln bei frühlingshafter Kälte in einem Vorgarten im Stuttgarter Westen statt.

Professorin für Kommunikationsdesign an der HTWG Konstanz

Martin Kreyßig: Du wurdest zum vergangenen Wintersemester im Herbst 2020 an die Hochschule Konstanz zur Professorin für Kommunikationsdesign berufen. Wie fühlt sich das an?
Eva-Maria Heinrich: Das war für mich ein Geschenk des Himmels. Ich habe mich sehr darüber gefreut, weil es für mich eine große Erfüllung bedeutet, einer jungen Gestaltergeneration fachliches Know-How und praktische Erfahrungen aus meinem Berufsleben mitzugeben, aber auch meine eigene Begeisterung für die vielfältigen Themenfelder von Kommunikationsdesign weiterzugeben.

MK: Welche Themengebiete wirst Du lehren?
EMH: Grundlagenfächer wie Typographie und Schrift; dazu freie Themen, im letzten Semester zum Beispiel „Multiscript Typography“, also die  Beschäftigung mit den funktionalen und formal-ästhetischen Eigenschaften der verschiedenen Schriftsystemen der Welt, und welche spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Ein Schriftsystem kann ein Alphabet sein, eine Silbenschrift oder auch eine Hieroglyphen-Schrift. Besonders interessiert hat uns dabei der Aspekt der Mehrsprachigkeit und der Arbeit mit verschiedenen Schriftsystemen gleichzeitig innerhalb einer ganzheitlichen Gestaltungslösung.

MK: Und worauf freust Du Dich noch am Bodensee?
EMH: Ich hoffe, dass wir einen schönen Ort zum Leben finden werden, natürlich nicht zu weit weg vom See. Und dann träume ich davon, dass ich jeden Morgen im See schwimmen gehen kann, bevor ich zur Hochschule fahre.

MK: Wie lassen sich die Aufgaben als junge Mutter, die Arbeit an der Hochschule, Karriere und Familie unter einen Hut kriegen?
EMH: Ich denke, das ist zu schaffen. Da verändert sich in der Gesellschaft gerade sehr viel, dass Frauen, auch wenn sie Kinder haben, genauso arbeiten können wie Männer. An Hochschulen wird das sehr gefördert, dort ist es vielleicht eher möglich, als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Wir haben auch gute Vorbilder: Wenn wir nach Norwegen schauen, können wir da sicher als Deutsche noch einiges verbessern. Ich fühle mich glücklicher Weise unterstützt und hoffe, es wird in Zukunft noch einfacher für Frauen und vor allem Mütter werden. Einfach normaler.

Leiterin der Grafikabteilung im Atelier Brückner, Stuttgart

MK: Du hast im renommierten Atelier Brückner in Stuttgart gearbeitet, welche Aufgaben hattest Du?
EMH: Ich habe dort die Grafikabteilung geleitet. Das umfasste, neben der Arbeit an eigenen Gestaltungs- und Ausstellungsprojekten, die Betreuung junger Kolleginnen und Kollegen, Teamleitung, gestalterische Supervision, Schnittstellenkoordination und Budgetverantwortung.

Medieninformatik studieren an der Hochschule Harz, erster Jahrgang 1997

MK: Kehren wir aus Süddeutschland zurück in den Harz. Der Studiengang Medieninformatik wurde 1997 an der Hochschule Harz gegründet. Du gehörst zum ersten Jahrgang. Wie bist Du darauf aufmerksam geworden?
EMH: Wenn ich ehrlich bin, war das ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht. Ich hatte kurzfristig beschlossen, nicht Medizin, sondern Kommunikationsdesign zu studieren, dafür musste man aber eine künstlerischen Aufnahmeprüfung machen. Also wollte ich das Jahr sinnvoll überbrücken. Und dann habe ich Medieninformatik einfach zu Ende studiert.

MK: Das Studium passte also doch?
EMH: Ja, es war sehr spannend und meine Zielsetzung war, diesen Computer zu verstehen, die Tools, die ich ja als Gestalterin perspektivisch nutzen würde, zu beherrschen. Dafür hat mir das Studium gute Dienste geleistet.

MK: Was machte für Dich das Besondere am Studiengang Medieninformatik aus? Was hat dich begeistert?
EMH: Was mich wirklich faszinierte, war der Videoschnitt am AVID, gefühlt eine Riesenmaschine. Oder auch die Arbeit an anderen Computern, die es heute gar nicht mehr gibt, an der Silicon Graphics mit einem 3D-Programm Objekte zu modellieren. Das fühlte sich zu der Zeit sehr futuristisch an, obwohl es eigentlich zeitgemäß war. Es ist retrospektiv beeindruckend, wie hoch der technologische Aufwand damals war und was für Innovationen hinter den Technologien standen. Wir fühlten uns am Puls der Zeit. Heute gehören diese Werkzeuge zum gestalterischen Alltag.

MK: Den Studiengang und das Studium der Medieninformatik zeichnet hohe Interdisziplinarität aus. Ist diese besondere Mischung aus Gestaltung und Informatik für Dich auch noch heute wichtig? Im Atelier Brückner, aber auch als zukünftige Professorin? 
EMH: Absolut, ja! Das hat mir unheimlich geholfen, erstens als Gestalterin selbst souverän mit digitalen Technologien umzugehen und zum anderen in der Zusammenarbeit und Kommunikation mit Programmierern und Entwicklern. Gerade im Bereich der Ausstellungsgestaltung ist dies eigentlich im gesamten Prozess von der Konzeption bis zur Umsetzung interaktiver medialer Anwendungen ein wichtiger Teil der Arbeit einer Gestalterin.

MK: Du warst meine erste Diplomandin. Erinnerst Du Dich noch an Deine Abschlussarbeit im Jahr 2002 mit dem Titel "Audiovisuelle Erlebniswelten" und den Live-Akt in Quedlinburg? Kannst Du für unsere Leserinnen und Leser beschreiben, was die Arbeit umfasste?
EMH: Mir ging es um künstlerische, gestalterische Werke von den Ursprüngen der Menschheit bis in die Gegenwart, mit denen die verschiedenen Sinne gleichzeitig angesprochen werden, um multisensorische Welten zu kreieren. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Verschmelzen oder Koppeln von einem Sinnesbereich mit einem anderen — die Synästhesie, zum Beispiel in Form von visueller Musik. Insofern ist auch Ausstellungsgestaltung — ein Bereich, in dem ich sehr viel gearbeitet habe – ein typisches Anwendungsfeld, weil hier diese multisensorischen Räume geschaffen werden, in die der Mensch mit allen, mindestens aber mit zwei Sinnen, dem Sehen und Hören, eintauchen kann.

Diplomabschluss 2002, Studium an der Weissensee Kunsthochschule, Selbstständigkeit

MK: Nach Deinem Diplomabschluss 2002 an der Hochschule Harz hast Du an der Weissensee Kunsthochschule in Berlin studiert. Auf welche Themen und Schwerpunkte hast Du Dich in diesem zweiten Diplomstudium konzentriert?
EMH: An der Weißensee Kunsthochschule habe ich mich mit klassischem Grafikdesign beschäftigt, mit Typografie, in meiner Abschlussarbeit mit „Schrift in Bewegung“, aber auch mit eher künstlerischen Aspekten und kunstphilosophischen Themen. Eine Kunsthochschule eben, die noch einmal ganz anders ausgerichtet ist, nicht so praxisorientiert, sondern sich mit der Metaebene von Gestaltung beschäftigt.

MK: Wie gestaltete sich für Dich anschließend der Einstieg in den Beruf als freischaffende Gestalterin? War das mühsam oder geschmeidig?
EMH: So und so – inhaltlich lief es sehr gut, weil ich immer Projekte machen konnte, die mich wirklich begeistert und interessiert haben, die mir Spaß gemacht haben, hinter denen ich auch inhaltlich stehen konnte, ethisch gesehen. Aber praktisch, ökonomisch und vom Zeitbudget her, gab es Zeiten, in denen ich extrem viel zu tun hatte und gut verdient habe. Und dann gab es eben auch die anderen Zeiten. Das ist sicher ein typisches Problem von Solo-Selbstständigen.

Erst die Arbeit, und dann ... die Lehre

MK: Wie hast Du den Sprung in die Lehre geschafft? Was interessiert Dich an der Lehre?
EMH: Durch die Arbeit im Atelier Brückner habe ich festgestellt, dass es mir viel Spaß macht, Anderen etwas zu vermitteln. Konzepte für Workshops oder Weiterbildungsprogramme zu entwickeln, zu überlegen, wie kann ich Know-how, das wir gesammelt haben, in ein sinnvolles Vermittlungsformat transferieren. Und ich hatte den Wunsch, mich wieder mehr mit den Meta-Themen zu beschäftigen: Was bedeutet gutes Kommunikationsdesign eigentlich? Was ist unsere Rolle als Gestalter in der Welt? Wie geht es perspektivisch in unserem Berufsfeld weiter? Woran arbeiten die Kollegen und was hat Potenzial? Das hat mich zunehmend interessiert. Die Hochschule ist für mich ein Freiraum, unser Feld experimentell zu erforschen und nach Antworten auf virulente Fragen zu suchen.

MK: Was macht für Dich gute Lehre aus?
EMH: Selbst begeistert zu sein von den fachlichen Fragestellungen und das eigene Berufsfeld immer wieder aus der Vogelperspektive zu betrachten. Die Studierenden zu motivieren und zu ermutigen, für sich selbst kritisch fragend den Sinn ihrer Arbeit als Gestalter zu definieren. Auch einen hohen handwerklich qualitativen, ästhetischen sowie inhaltlich ethischen Anspruch an ihre eigene Arbeit zu haben und letztlich eine verantwortungsbewusste Haltung als Gestalter zu entwickeln.

MK: Noch einmal zurück zu Deiner Diplomarbeit. Im Kern dreht sich die Arbeit um Synästhesie. Synästhesie meint Wahrnehmung, Empfindung mit mehreren Sinnen gleichzeitig. Welche Rolle spielt Synästhesie für Dich heute?
EMH: Ich halte in diesem Sommersemester eine Vorlesung und Seminar über „Regelbasiertes Gestalten“. Ein mögliches Anwendungsgebiet ist, konkrete Werte aus dem System Musik – Tonhöhe, Klangfarbe und Harmonie oder Tonfolge und Rhythmus eines konkreten Musikstücks – in eine visuelle Gestaltung zu übersetzen; also letztlich visuelle Musik zu erzeugen. Aber das Thema beschäftigt mich natürlich auch in Projekten im Bereich Ausstellungsgestaltung oder wenn ich mit Musikern zusammenarbeite, für die ich Plakatserien oder Platten-Cover entwickle. Dann ist das im weiteren Sinne auch eine Übersetzung von akustischen in visuelle Sinneseindrücke.

MK: Hast Du zum Schluss einen guten Rat für unsere Studierenden der Medieninformatik?
EMH: Ich weiß nicht, ob ich einen konkreten Tipp für Medieninformatiker*innen habe; die wissen vielleicht besser, was ihnen in Zukunft technologisch abverlangt wird. Generell glaube ich, dass man beruflich immer das machen sollte, was einen wirklich interessiert und begeistert, nur dann kann man richtig gut werden.


Für weitere Informationen zu unseren gestalterischen Studiengängen:

02.05.2021
Autor/Autorin: Prof. Martin Kreyßig
Fotograf/Fotografin: © Reiner Pfisterer, Martin Kreyßig
Bildrechte: © Eva-Maria Heinrich, Reiner Pfisterer, Martin Kreyßig

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Prof. Martin Kreyßig

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