Nachhaltigkeit und Verwaltung: Landschaftsbild mit neu entstehendem Wald in schottischer Landschaft.

Verwaltung und Nachhaltigkeit

Rückkehr der Wildnis in Schottland

Was verbinden wir mit Schottland? Highland Games, alte Schlösser und neblige Gebirgsketten. Doch hinter der Postkartenidylle vollzieht sich eine Transformation: Schottland ist zum heimlichen Epizentrum der europäischen Rewilding-Bewegung geworden. In einem stillen, aber erbittert geführten Kulturkampf wird die Landschaft Stück für Stück wieder in Wildnis verwandelt. Prof. Dr. Thorsten Franz vom Fachbereich Verwaltungswissenschaften hat sich in einer viermonatigen Forschungsreise vor Ort auf Spurensuche begeben, um herauszufinden, warum das Rewilding gerade in Schottland diese Entwicklung nahm und welche Rolle dabei die Verwaltung spielt. Hier berichtet er über seine Erkenntnisse:

Was assoziieren die meisten Menschen mit Schottland?

Es dürften wohl vor allem Begriffe sein wie Dudelsack und Schottenrock, Loch Ness(ie) und Edinburgh, Whisky, Clans und Baumstammwerfen bei den Highland Games sowie ein ungewohnt klingendes Englisch. Etwas seltener genannt wird sicherlich die Distel als schottisches Nationalsymbol, das Nationalgericht Haggis, das Gälische, die Tarns der Clans, die küstenbewohnenden Papageitaucher (Puffins), die schottische Version der Wandererschutzhütte (bothy) oder das Shortbread. Nach schottischer Geschichte gefragt, wissen die meisten etwas von Hadrians Wall, dem bis heute anhaltenden Dualismus mit England, sie wissen von Maria Stuart und vom Freiheitskämpfer William Wallace (alias Mel Gibson). Soll jemand eine typische schottische Landschaft beschreiben, denkt er vielleicht an die Ruine eines der ca. 1.400 Castles an einem großen See, umgeben von gebirgiger, rauer, karger Landschaft mit fast nackten Gipfeln und Bergkämmen, wilde Flecken von Ginster, Heidekraut und Farnteppichen an den Hängen sowie durch Steinmauern geteiltes Weideland mit verstreut grasenden Schafen in den tieferen Lagen. Man denkt an Wetter, das sich über den Tag oft und schnell ändern kann und das häufig mit Regen, meist Nieselregen („drizzling“), recht trübe („dreich“) daherkommt.

Rewilding: Schottlands unerwartete Vorreiterrolle

Gleichzeitig ist Schottland „das“ Rewilding-Land Europas! Immer häufiger wird in Medien über entsprechende Projekte berichtet. Die Times wähnte gar schon „Rewilding is taking over the countryside“. Schottland kann angesichts der Zahl und Größe dieser Projekte als Hotspot oder Zentrum des weltweiten Rewilding gelten. Die zugehörige Buchszene ist (noch) eine britische. Namen wie Isabella Tree und James Rebanks haben eine Vorbildwirkung für das Farm-Rewilding und sind als Bestsellerautoren in Britannien weiten Bevölkerungskreisen bekannt. Mitunter stößt man in Buchhandlungen sogar auf eine eigene Themenecke. Schottische Autoren gibt es kaum, obwohl Schottland beim Rewilding eine größere Rolle als England spielt. In Deutschland gibt es erst eine Veröffentlichung zum Thema und nicht für jeden wird klar sein, was der Begriff überhaupt bedeutet. Gemeint ist, dass ein Teil der Erdoberfläche zurückversetzt wird in seinen früheren Wildniszustand. Für die einen ist es das Hoffnungsinstrument zur Rettung der Artenvielfalt, für die anderen ist es eine zu bekämpfende Bedrohung ihrer angestammten Lebens- und Wirtschaftsweisen. In Schottland wird über diesen Begriff eine Art Kulturkampf geführt. 

Feldforschung vor Ort: Einblicke und Herausforderungen

Auf meiner viermonatigen Forschungsreise in Großbritannien besuchte ich (auf eigene Kosten) verschiedene, vor allem schottische Rewilding-Projekte. Dies waren in erster Linie Projekte der Organisationen National Trust for Scotland, Royal Society for the Protection of Birds, Borders Forest Trust, Trees for Life und Projekte von Farm-Rewildern. Die ebenso umstrittenen wie schillernden sogenannten "Green Lairds" - reiche Investoren, oft aus der Energiebranche, die Land im großen Stil aufkaufen, um z.B. die Öko-Bilanz ihrer Unternehmen zu optimieren, wollten sich leider nicht von mir in die Karten schauen lassen. Ein Aufenthalt in einem der teuren Hotels oder Gästehäuser der "Green Lairds" hätte vielleicht Türen geöffnet, überstieg aber mein Budget. Leichter war es da, etwa als Volunteer in einer Baumschule im Rewilding-Besucherzentrum von Trees for Life zu arbeiten oder bei Zaunabbaumaßnahmen von Borders Forest Trust in Steilhängen dem „spirit“ der Organisationen näher zu kommen. Beide bezeichnen ihre Arbeit als Rewilding; manch andere betreiben Rewilding, nennen es aber sicherheitshalber nicht so, reden lieber von „Regeneration“ oder „Restauration“ von Natur, Ökosystemen bzw. Artenvielfalt.

Die zentralen Forschungserkenntnisse: Treiber und Erfolgsfaktoren

Bei der Forschungsreise ging es vor allem darum herauszufinden, warum das Rewilding gerade in Schottland so eine starke Entwicklung nahm und welche Rolle dabei die Verwaltung spielt. Der Blick auf die Rahmenbedingungen, auf Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Förderprogramme generierte zwar bereits erste Hypothesen, jedoch waren es vor allem die Gespräche mit und Befragungen von Akteuren, die einen tieferen Einblick gaben. Dabei musste stark zwischen den höchst unterschiedlichen Gruppen differenziert werden, für die jeweils andere Faktoren wirksam werden. Es zeigte sich, dass einige Rewilder die frühe Wiederaufforstungspolitik der schottischen Regierungen genutzt haben, um die nötigen Gelder für Pflanzungen und Zaunbau zu erhalten. Dabei ging es ihnen aber nicht um eine Erhöhung des Waldanteils aus forstpolitischen bzw. forstwirtschaftlichen Gründen, sondern um eine künftige Wildnis. Untersucht habe ich - selbst Jäger - die interessante Rolle der Jagd beim Rewilding, etwa, wie das Jagdrecht dort auch eine drastische Reduktion von Schalenwildbeständen ermöglicht, um Pflanzungen ohne Zaun und Naturverjüngung eine Chance zu geben. Als bedeutende Faktoren zeigten sich der in Britannien stärkere Charity-Gedanke, die stärkere Landschaftsverbundenheit und die im Vergleich mit Deutschland gänzlich andere Eigentumsverteilung. Die Rolle der Verwaltung im Rewilding erwies sich im Hinblick auf Ge- und Verbote, Genehmigungspflichten und Subventionen als relevant, aber keineswegs entscheidend für den Projekterfolg. Man könnte sagen, dass die Projekte nicht an Verwaltung und Verwaltungsrecht vorbeikamen, ihr Erfolg jedoch nicht maßgeblich hierauf beruhte. Im nächsten Jahr soll meine Analyse in einem Buch über Rewilding in Schottland veröffentlicht werden.

Ein produktiver Nebeneffekt: Die „Landesrechtsoffensive“

Die Ruhe des schottischen Landlebens habe ich auch genutzt, um eine „Landesrechtsoffensive“ für das sachsen-anhaltische Recht zu starten und insgesamt fünf Bücher zum Landesrecht Sachsen-Anhalts zu veröffentlichen: „Kommunalrecht Sachsen-Anhalt. Darstellung für Studium und Praxis“, „Öffentliches Baurecht in Sachsen-Anhalt. Handbuch“, „Jagdrecht Sachsen-Anhalt. Handbuch“, „Naturschutzrecht von A bis Z. Handbuch auf Grundlage der Rechtslage in Sachsen-Anhalt“, „Denkmalrecht Sachsen-Anhalt. Darstellung für Studium und Praxis“. Das erste und das letztgenannte Werk sind Erstauflagen bzw. völlige Neubearbeitungen, während die restlichen drei aktualisierende Erweiterungen von Vorauflagen sind. Die zusammen ca. 2.500 Seiten in vier Monaten zu publizieren, war eine große Herausforderung und wohl nur möglich, weil ich mich in einer sehr einsamen Gegend (jedoch mit Internetzugang) voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren konnte.

Ausblick: Rewilding als zukünftiger globaler Konfliktherd

Auch hierzulande gibt es "Wildnisprojekte", von denen sich die schottischen aber in mancherlei Hinsicht unterscheiden. Dies gilt etwa hinsichtlich der Größe und Anzahl der Projekte, der Art ihrer Finanzierung, der Rolle der Jagd, der Freiwilligenarbeit oder der Rechtsdurchsetzung im Projekt- bzw. Schutzgebiet. Was es hier wie dort gibt, sind Konflikte um das Rewilding, einem Thema von dem wir auch in Deutschland sicher bald mehr hören werden.

03.09.2025
Autor/Autorin: Prof. Dr. Thorsten Franz
Fotograf/Fotografin: © Prof. Dr. Thorsten Franz
Bildrechte: © Prof. Dr. Thorsten Franz

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Prof. Dr. Thorsten Franz

Vorsitzender des Prüfungsausschusses des Fachbereichs Verwaltungswissenschaften

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