Professor Georg Felser veröffentlicht neue Erkenntnisse in 5. Auflage seines Standardwerks „Werbe- und Konsumentenpsychologie“
Mit welchen psychologischen Tricks versucht die Werbeindustrie ihre Kunden zum Kauf zu verführen? Und warum werden viele Verbraucher von roten Rabattschildern magisch angezogen? Mit seinem Buch „Werbe- und Konsumentenpsychologie“, das als Standardliteratur an vielen deutschsprachigen Universitäten und Hochschulen genutzt wird, geht Prof. Dr. Georg Felser den Mechanismen der Konsumgesellschaft auf den Grund – und das fundiert, verständlich und humorvoll. Im Springer-Verlag ist bereits die fünfte Auflage erschienen.
Was die modernisierte Fassung besonders lesenswert macht, was ihn persönlich an dem Themenfeld fasziniert und welche Tipps er für Menschen im Kaufrausch hat, verrät der langjährige Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Harz im Interview.
Ihr Lehrwerk „Werbe- und Konsumentenpsychologie“ hat sich seit der Erstveröffentlichung 1997 zu einem echten Verkaufsschlager entwickelt. Haben Sie damals mit dem Erfolg gerechnet?
Nie und nimmer. Mir war zwar damals schon klar, dass es zu dem Thema im deutschsprachigen Markt nicht viel gibt, aber als ich es geschrieben habe, war ich ja noch nicht einmal promoviert. Da rechnet man nicht damit, etwas abzuliefern, das eine derartige Wirkung entfaltet.
Warum ist eine Neuauflage dann überhaupt notwendig?
Lehr- und Fachbücher müssen regelmäßig aktualisiert werden. Tatsächlich ist der zeitliche Abstand von der vierten zur fünften Auflage mit neun Jahren sogar ziemlich groß. Es erscheinen immer wieder neue Forschungsergebnisse, die die bisherigen Erkenntnisse weiterführen oder manchmal auch widerlegen. Allein um diese Neuerungen aufzunehmen, sollte man solche Bücher in gewissen Abständen überarbeiten.
Zwei weitere Punkte haben mich aber besonders angestachelt: Zum einen enthält die aktuelle Auflage nun deutlich mehr zu digitalen Werbeformen, es sind sogar speziell dazu zwei gänzlich neue Kapitel dazugekommen. Zum anderen hat die Psychologie in den letzten Jahren eine viel kritischere Haltung gegenüber ihren eigenen Forschungsergebnissen eingenommen. Tatsächlich ist das eine sehr dramatische, aber auch heilsame Entwicklung. Viele Experimente, die früher ungefragt akzeptiert und weithin zitiert wurden, sind hinterfragt und erneut durchgeführt worden. Und manche davon sind ‚durchgefallen‘, das heißt, sie haben sich nicht bestätigt. Auf diese Entwicklung muss ich mit einem Lehrbuch der Psychologie natürlich eingehen.
Wie aufwendig ist denn eine solche Erweiterung? Immerhin umfasst die fünfte Auflage stolze 740 Seiten.
Ich sammele permanent Inhalte und Themen, vor allem natürlich Forschungsarbeiten, die ich in die jeweilige neue Auflage einbauen möchte. Im Grunde beginne ich damit an dem Tag, nach dem ich das Manuskript der aktuellen Auflage an den Verlag gegeben hab. Ich hab also bereits jetzt schon Material, das ich in eine eventuelle sechste Auflage einarbeiten würde. Das eigentliche Schreiben ist damit natürlich schon ganz gut vorbereitet, das hat für die aktuelle Auflage so etwa anderthalb Jahre gefordert, wobei ich dafür auch ein Forschungssemester genutzt habe. Tatsächlich gehe ich bei der Überarbeitung die alten Kapitel Wort für Wort durch. Ich habe also kein Kapitel ohne kritische Durchsicht einfach belassen, wie es ist.
Was finden Sie persönlich spannend an der Werbe- und Konsumentenpsychologie?
Das ist leicht zu beantworten: Ich mag das Thema, weil es so alltäglich ist. Wir sind doch den ganzen Tag über Konsumentinnen und Konsumenten. Es gibt nur wenig Lebenssituationen, auf die die Inhalte der Konsumentenpsychologie nicht anwendbar wären. Ich find es einfach toll, das Alltägliche und scheinbar Banale zu hinterfragen. Mich fasziniert das mehr, als zum Beispiel psychologische Erscheinungen aus den Extrembereichen zu erforschen wie Hochbegabung oder eine seltene psychische Störung.
Sie erklären in Ihrem Buch unter anderem, wie Menschen auf verschiedene Kaufanreize reagieren. Würden Sie sagen, dass wir dahingehend leicht zu manipulieren sind?
Im Grunde schon. Aber ich denke, man muss auch differenzieren. Zum Beispiel mache ich einen Unterschied zwischen Strategien, bei denen es hilft, wenn man sie durchschaut und solchen, bei denen das Wissen nicht hilft. Will sagen: Gegen manche Strategien können wir uns wehren, gegen manche aber auch nicht, das ist einfach menschlich. In jedem Fall würde es helfen, darüber aufgeklärt zu sein, am besten schon in der Schule.
Haben Sie ein Lieblingsbeispiel aus der Werbe- und Konsumentenpsychologie?
Da fällt mir sofort ein Experiment ein, das wir an der Hochschule Harz durchgeführt haben. Stellen Sie sich vor, Sie sind Makler und wollen mir eine Wohnung schmackhaft machen. Als besonderes Extra dürfen Sie eine Internet-Flatrate anbieten. Das ist mit dem Vermieter bereits abgesprochen, die Interessenten wissen das aber nicht. Im Verkaufsgespräch können Sie sagen: „Wir haben übrigens ein besonderes Angebot: Im Mietpreis ist bereits eine Internet-Flatrate enthalten.“ Sie können aber auch sagen: „Ich glaube, wir können Ihnen noch ein kleines Zusatzangebot machen. Da müsste ich aber kurz beim Vermieter nachfragen. Soll ich ihn für Sie anrufen?“ Sie provozieren bei mir also die Nachfrage nach etwas, was Sie mir auch einfach erzählen können. Sie gehen nach nebenan, täuschen ein Telefonat an, kommen zurück und überbringen mir die gute Nachricht. Durch diesen Trick bekommt die Rabattaktion in der Entscheidung des Interessenten viel mehr Gewicht. Unser Experiment hat das ganz deutlich gezeigt: Es haben sich 27 Prozent der Befragten für die Wohnung entschieden, wenn sie von Anfang an von der Flatrate wussten. Wenn der Makler aber erst beim Vermieter nachfragen musste, stieg die Zustimmung zu der Wohnung auf 63 Prozent.
Natürlich ist die Strategie manipulativ und perfide. Warum ich sie trotzdem als ein ‚Lieblingsbeispiel‘ hervorhebe? Weil sie so wirksam ist. Viele Experimente zur sozialen Beeinflussung sind in ihren Effekten oft subtil und instabil, meist muss man als Forschender auch schon viel Erfahrung mit der jeweiligen Methode gesammelt haben, damit sie so funktioniert wie vorhergesagt. Die Strategie, die ich grad beschrieben habe, ist eine Ausnahme. Sie hat bisher immer funktioniert.
Erwischen Sie sich – trotz Ihres Fachwissens – selbst manchmal dabei, auf Werbetricks reinzufallen?
Klar, ständig. Meine Spezialität sind Sonderangebote. Wenn ich sehe, dass etwas reduziert ist, steigt immer meine Aufmerksamkeit.
Ich beobachte an mir selbst, dass ich aus Langeweile, aus Frust oder zur Belohnung shoppe, meist online via Smartphone. Damit bin ich sicher nicht allein. Welcher psychologische Mechanismus steckt dahinter und wie verbreitet ist das Phänomen?
Das ist extrem verbreitet. Kaufen kann die Stimmung heben. Es bedeutet ja fast immer irgendeine Art des Zuwachses, der Aufwertung, der Erweiterung. Und oft genug freuen wir uns auf den Konsum, also zum Beispiel darauf, ein Buch zu lesen oder eine DVD zu schauen, obwohl wir am Ende vielleicht beides nie tun werden. Aber diese Vorfreude, dieser vorweggenommene Konsum, ist bereits Teil des Nutzens, den wir vom Kauf haben.
Kurz und gut: Sie können Ihr Kaufverhalten nutzen, um damit Ihre Stimmung und Ihr Wohlbefinden zu regulieren. Witzig ist dabei ja auch, dass Sie das in fast jeder Lebenslage tun können – egal ob beispielsweise zur Aufmunterung nach einer vergeigten Klausur oder als zusätzliche Freude nach einer gelungenen Prüfung – Shopping macht oft glücklich oder erhält eine bereits glückliche Stimmung länger aufrecht.
Die Tatsache, dass Kaufen stimmungsaufhellend und belohnend wirken kann, hat natürlich eine tiefdunkle Seite: Sie ist die Grundlage dafür, dass manche Menschen eine regelrechte Kaufsucht entwickeln. Insofern müssen wir diese Wirkung an uns selbst immer hinterfragen, überwachen und sparsam einsetzen.
Haben Sie eine Empfehlung für Menschen, die immer wieder in Kauffallen tappen?
Eine der wichtigsten Empfehlungen ist die, nicht allzu schnell und aus einem Impuls heraus zu kaufen. Manchmal genügt es, eine Runde um den Block zu machen oder den Online-Warenkorb einen Tag lang unbeachtet zu lassen. Der vorher noch so attraktive Kauf rückt damit wieder in Perspektive und man kann sich leichter davon lösen. Tatsächlich ist das Herausgehen aus der Situation oder auch der große Bogen, den man um eine Versuchungssituation macht, eine der wirksamsten Gegenstrategien. Denn viele Beeinflussungsstrategien wirken aus der Außenperspektive beherrschbar. Wenn man aber mittendrin ist, kann man sich nur ganz schwer wehren. Spannenderweise sind übrigens mitunter genau die Leute am leichtesten zu beeinflussen, die sich für unbeeinflussbar halten, weil sie glauben, alles zu durchschauen.
Und jenseits aller Psychologie: Rechnen hilft. Schauen Sie auf Ihr Budget, schauen Sie, ob sich ein Rabatt wirklich lohnt und ob Sie sich die Dinge auch leisten können. Dann können Sie sich auch mal einem Kaufrausch hingeben – das kann ja durchaus auch mal Spaß machen. Wenn Sie klug sind, machen Sie das aber auf einem Flohmarkt und nicht in einer teuren Boutique.
Das Buch „Werbe- und Konsumentenpsychologie“ in seiner fünften, erweiterten und vollständig überarbeiteten Auflage ist im Springer-Verlag erschienen. Es umfasst zwei Kilogramm geballtes Wissen auf 740 Seiten und ist für 54,99 Euro als Hardcover-Band (IBAN 978-3-662-65470-5) sowie für 42,99 Euro als eBook (EAN 978-3-662-65471-2) erhältlich. Zusätzlich können digitale Dozentenmaterialien auf der Lehrbuch-Begleitwebseite des Springer-Verlags abgerufen werden.
Zum Autor
Prof. Dr. Georg Felser hat Psychologie und Philosophie in Trier studiert und lehrt seit über 20 Jahren an der Hochschule Harz in Wernigerode, insbesondere im Bachelor-Studiengang Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) und dem Master-Programm Konsumentenpsychologie und Marktforschung (M.Sc.). Seine Lehrtätigkeit erstreckt sich zudem auf weitere Einrichtungen, darunter die Frankfurt School of Finance and Management oder die Universitäten in Trier, Hohenheim, Halle an der Saale, Linz und Innsbruck.
21.05.2024
Autor/Autorin: Karoline Klimek
Fotograf/Fotografin: © Frank Barlen
Bildrechte: © Hochschule Harz